Locarno 10: SOMMERVÖGEL von Paul Riniker

Sommervögel ©frenetic

Paul Riniker, der langjährige Stardokumentarist des Schweizer Fernsehens als Spielfilmregisseur auf der Piazza Grande? Durchaus eine Feuerprobe für den erfolgsgewohnten Menschenbeobachter. Aber Rinikers Talent dafür, Menschen vor der Kamera ihre natürliche Scheu zu nehmen, sie zu überzeugenden Darstellern ihrer selbst zu machen, entfaltet seine Wirkung tatsächlich auch im Spielfilm. Roeland Wiesnekker und Sabine Timoteo sind grossartig in den Hauptrollen, die meisten anderen Darsteller stark und präzise. Dabei beginnt der Film mit einer gemächlichen Exposition, die an den Stil der Deutschschweizer Fernsehfilme erinnert – fast eine Drohung, unter diesen Umständen.

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Locarno 10: Goldener Leopard für Li Hongqi – Die Preise 2010

Li Hongqi mit dem goldenen Leoparden  © Festival del film Locarno / Abram

Der goldene Leopard des 63. Internationalen Filmfestivals von Locarno ging heute Abend an meinen persönlichen Favoriten Han Jia von Li Honqi. Der Film, der unter anderem exemplarisch zeigt, wie man kritische Gesellschafts- und Polit-Kommentare auf die Leinwand bekommt, ohne den Zensoren eine Angriffsfläche zu bieten, ist ein grosses, lakonisches Vergnügen.

Li Hongqi  © Festival del film Locarno / Abram

Ich haue mich heute sehr zufrieden ins Bett. Die restlichen Preise in ihrer ganzen vielfältigen Pracht finden sich sauber aufgelistet und zum Teil in Farbe illustriert nach dem Sprung:

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Locarno 10: Die Bilanz-Runde

Eric Facon, Michael Sennhauser, Brigitte Häring ©Gutersohn
Eric Facon, Michael Sennhauser, Brigitte Häring ©Gutersohn

Blick zurück auf zehn Tage Filmfestival: Peter Claus schwärmt für den serbischen Film Beli beli svet, Michael Sennhauser für Han jia aus China – und Brigitte Häring verlor ihr Herz an einen Gummireifen. Die Filmredaktion und der Berliner Filmkritiker Peter Claus nehmen die erste Ausgabe des Festivals unter Olivier Père unter die Lupe – mit positivem Fazit: Langweilig ist ihnen in Locarno selten geworden.

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Locarno 10: KARAMAY von Xin Xu

Karamay 1

Olivier Père, der neue Direktor von Locarno, hat den Wettbewerb des Festivals nun nach dem Vorbild von Cannes ebenfalls für Dokumentarfilme geöffnet und dem gleich mit einem Sechsstünder Nachdruck verlliehen. Karamay ist eine Stadt in der uigurischen Provinz der Volksrepublik China. 1994 sind in der grossen „Freundschaftshalle“ der Ölarbeiterstadt 323 Menschen im Feuer umgekommen, 288 von ihnen Schulkinder zwischen 6 und 14 Jahren. Wie viele Katastrophen in China wurde auch diese von den Funktionären so gut wie möglich aus der Geschichte getilgt, die Hinterbliebenen, insbesondere die Eltern der toten Kinder, kämpfen seit damals um die offizielle Anerkennung – nicht einmal Totenscheine wurden ausgestellt. Xin Xu gibt nun diesen Hinterbliebenen die Gelegenheit, ihrer Wut, ihren Ängsten und ihren Erinnerungen endlich freien Lauf zu lassen, vor einer fix aufgestellten Kamera. 356 Minuten sind viel für einen Dokumentarfilm, aber nichts, angesichts der Tragödie, die hunderte von Leben auslöschte und viele für immer veränderte.

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Filmpodcast Nr. 194: Locarno und das Genrekino. Monsters, Hiphop und Umweltverträglichkeit.

Auf der Piazza Grande: 'Monsters' von Gareth Edwards ©rialto
Auf der Piazza Grande: 'Monsters' von Gareth Edwards ©rialto

Das Horror-Genre ist dieses Jahr stark präsent am Filmfestival Locarno. Über Schock- und Schreckmomente auf der Piazza diskutieren im DRS-Zeltpavillon «Magnolia» Eric Facon, Brigitte Häring und Michael Sennhauser. Zu hören ist ebenfalls Monsters-Regisseur Gareth Edwards, von dem der gestrige Piazza-Film stammt. Regisseur Joshua Atesh Litle stellt The Furious Force of Rhymes vor, einen Dokumentarfilm über Hip Hop. Und zu Gast ist Marco Cacciamognaga, der operative Direktor des Filmfestivals, der sich für mehr Umweltverträglichkeit grosser Veranstaltungen einsetzt.

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Locarno 10: MONSTERS von Gareth Edwards

Monsters von Gareth Edwards

Manchmal wäre es gut, man könnte die Erwartungen an einen Film ein wenig besser steuern. Monsters von Gareth Edwards, einem jungen britischen Spezialisten für Computergrafik, bringt zwar seine Titelhelden durchaus auf die Leinwand, ‚the movie delivers‘, würden die Fanboys sagen. Aber wie so oft sind die wahren Monster nicht die Cthulhu-ähnlichen Riesenkraken, sondern die Menschen, die sich mit der Präsenz dieser Aliens in der mexikanischen Sperrzone an der Grenze zu den USA auseinandersetzen. Hier in Locarno mag es darum heute das eine oder andere enttäuschte Gesicht gegeben haben, dabei ist Monsters ein wunderbarer kleiner Film, der sein Genre fast schon zärtlich einwickelt.

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Locarno 10: Saç (HAIR) von Tayfun Pirselimoglu

Saç von Tayfun Pirselimoglu

Cannes-Liebeling Nuri Bilge Ceylan hat im türkischen Kino seine Spuren hinterlassen. Saç wäre kaum denkbar ohne die epische Lakonie von Ceylans türkischen Männerfiguren, etwa jener aus Climates. Die erste Einstellung setzt den Ton. Sie zeigt den Oberkörper und das Gesicht der Hauptfigur vor einer grünen Wand. Der Perückenmacher sagt den ganzen Film hindurch kaum ein Wort. Er kämpft auch nicht wirklich gegen seinen Krebs, raucht weiter seine Zigaretten und versucht, zu essen.

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Locarno 10: Piazza-Doc in Echtzeit

webcamshot

Wer wissen will, ob Tante Olga noch einen Platz gefunden hat auf der Piazza Grande, ob das Wetter mitspielt, oder ob im Tessin jetzt auch gerade 09.25 Uhr ist, wirft einen Blick auf die Live-Webcambilder, welche die Festivalseite eingebunden hat. Diese Langzeit-Dokumentation läuft ausser Konkurrenz und ist bewusst anonymisiert. Ein radikales Statement der Festivaldirektion, ein Schritt in die Richtung der YouTube-isierung und Demokratisierung der Festivalwelt.

Locarno 10: LUZ NAS TREVAS – A VOLTA DO BANDIDO DA LUZ VERMELHA von Icaro C. Martins , Helena Ignez

Luz nas trevas

Eine furiose Collage aus allen romantischen Gangster-Versatzstücken, ein bunter Kübel voller Halbphilosophie, oder eine filmische Ballade, je nach Laune. Sich selber stellt dieser Film vor als „Melodram mit der Unendlichkeit als Hauptdarsteller“. Fast durchgehend kommentiert mit wunderschönen Sprachcollagen in diesem fliessenden brasilianischen Portugiesisch giesst diese Geschichte von der Rückkehr des Banditen mit dem roten Licht Bilder und Erinnerungen, Filmausschnitte und Zitate wild durcheinander.

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Locarno 10: HAN JIA – ‚Winter vacation‘ von Li Hongqi

Han jia pupils 2

Und hier haben wir einen Gewinner. Wer kann sich einem Film entziehen, der Punk-Attitüde über ganz leise Töne verströmt, wer sein Herz verschliessen, wenn ein Fünfjähriger einer Fünfjährigen erklärt, wenn er gross sei, wolle er eine Waise sein – worauf die Kleine ihn mit der Bemerkung deckelt: „Du bist so ein jämmerliches Kind!“?

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