Locarno 17: MRS. FANG von Wang Bing

Das ist beileibe nicht der erste Dokumentarfilm, der einen Menschen beim Sterben begleitet. Aber Sterben in China, das unterscheidet sich offenbar doch wesentlich vom Sterben in der Schweiz.

Neun Jahre, nachdem bei der Bäuerin Fang Xuying eine Form von Alzheimer diagnostiziert worden ist, liegt sie nun mit geöffnetem Mund und meist geöffneten Augen auf dem Bett, permanente umgeben von einem grossen Teil ihrer Familie. Es sind die letzte zehn Tage ihres Lebens. „Locarno 17: MRS. FANG von Wang Bing“ weiterlesen

Locarno 17: 9 DOIGTS von F. J. Ossang (Wettbewerb)

© Capricci Films

Wenn der Mann zu Beginn dieses Films über die schwarzweissen Geleise flüchtet, durch den strömenden Regen und dann durch einen Untergrund-Tunnel mit Hintergrund-Licht, wartet man eigentlich bloss noch auf Anton Karras‘ Zithermusik und Orson Welles.

9 doigts gibt sich nie als Parodie zu erkennen. Aber die Diskrepanz zwischen den vielen pseudophilosophischen Sentenzen, welche die Figuren absondern, und den grossartigen, evokativen Neo- oder Pseudo-Noir Einstellungen ist offensichtlich. „Locarno 17: 9 DOIGTS von F. J. Ossang (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: GOLIATH von Dominik Locher (Wettbewerb)

Sven Schelker, Jasna Fritzi Bauer © filmcoopi
Wenn die Hautpfigur David heisst, zeichnet ein Filmtitel wie Goliath unausweichlich ihren Weg vor.

David ist seiner Freundin Jessy ein liebevoller, sorgloser Partner. Aber als sie ihm beim Sex eröffnet, dass sie schwanger ist, verfällt er erst einmal in stumme Panik. Und als die beiden in der S-Bahn von einem Schläger traktiert werden, steht sein Entschluss fest: Es Zeit, zum Mann zu werden, zum Muskelpaket, zum Zurückschläger. „Locarno 17: GOLIATH von Dominik Locher (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: CHARLESTON von Andrei Cretulescu (Wettbewerb)

Radu Iacoban, Serban Pavlu © Versatile

Der Film, der im Abspann Ioana gewidmet ist, beginnt mit dem Unfalltod eben dieser Ioana. Ein paar Schnitte weiter stehen wir mit ihrem Ehemann Alexandru am Grab, unpassende Musik im Ohr. Bis ein älterer Herr an ihn herantritt und etwas fragt. Da nimmt Alexandru einen Stöpsel aus dem Ohr und die Musik setzt aus.

Auf dem Heimweg lernen wir Alexandru als schweigsamen, lakonisch-schlagfertigen und trinkfesten Mann kennen. Er füttert die Katze auf dem Küchentisch, lässt aber das Telefon unter dem Sessel läuten. Erst als es an der Wohnungstür klingelt, geht er öffnen. Und als der bebrillte, beschnautzte junge Mann draussen sich als Liebhaber seiner verstorbenen Frau vorstellt, streckt er ihn wortlos mit einem Faustschlag nieder. „Locarno 17: CHARLESTON von Andrei Cretulescu (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: AS BOAS MANEIRAS (Good Manners) von Juliana Rojas und Marco Dutra (Wettbewerb)

© urbandistrib.com

Wenn Sie sich gerne auf ein Kinoabenteuer einlassen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wohin die Reise geht, dann lesen Sie jetzt noch nicht weiter.

As boas maneiras ist Genrekino im weitesten Sinne. Und auch im engeren. Das heisst, der Film nutzt eine phantastische Prämisse, baut sie aber auch sorgfältig als Überraschung auf. „Locarno 17: AS BOAS MANEIRAS (Good Manners) von Juliana Rojas und Marco Dutra (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: MADAME HYDE von Serge Bozon (Wettbewerb)

Isabelle Huppert ist Madame Géquil © Praesens

Das Prinzip dieses Films erschliesst sich spätestens dann, wenn man den Namen der von Isabelle Huppert gespielten Lehrerin Madame Géquil und den Titel kombiniert.

Sie macht eine traurige Figur, diese Physik-Lehrerin am Lycée Arthur Rimbaud in Lyon. Sie hat sich der Wissenschaft und dem Unterrichten mit ganzem Herzen verschrieben. Aber pädagogisches Talent geht ihr völlig ab; ihre Schüler und ihre Kolleginnen hassen die ungeschickte, kleine rothaarige Lehrerin. Bis sich ihre Persönlichkeit über Nacht verändert. „Locarno 17: MADAME HYDE von Serge Bozon (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: GEMINI von Aaron Katz (Wettbewerb)

Lola Kirke als Jill LeBeau in ‚Gemini‘ von Aaron Katz © Park Circus

Die Assistentin eines Filmstars gerät unter Verdacht, ihre Arbeitgeberin erschossen zu haben. Sie färbt sich die Haare blond, taucht unter und beginnt ihre eigenen Recherchen.

Ein Genrefilm über Oberflächen müsste zumindest etwas Tiefe erahnen lassen. Aber Aaron Katz wirft hier alles auf den Tisch, als ob schicke Autos, schöne Gesichter und vor allem teure Architektur ganz von selber etwas zu erzählen hätten. „Locarno 17: GEMINI von Aaron Katz (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: WAJIB (Duty) von Annemarie Jacir (Wettbewerb)

Saleh und Mohammad Bakri © trigon-film

Die in Bethlehem geborene Annemarie Jacir setzt sich immer wieder mit ihrer Heimat Palästina und dem Exil auseinander. Wajib ist nun zugleich ein Film über allgemeine Familienkonstellationen und über diese ganz spezielle, wie sie sich in Nazareth ergeben kann.

Vater Mohammad und Sohn Saleh Bakri spielen Vater und Sohn in Wajib. Abu Shadi war und ist ein palästinensischer Lehrer in Nazareth, unter strenger Kontrolle und Beobachtung durch die israelischen Behörden. Sein Sohn Shadi lebt als Architekt in Italien und ist über die Weihnachtstage zurück gekommen für die bevorstehende Hochzeit seiner Schwester. „Locarno 17: WAJIB (Duty) von Annemarie Jacir (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 17: DREI ZINNEN von Jan Zabeil (Piazza Grande)

Alexander Fehling, Bérénice Bejo, Arian Montgomery © xenix

Die Drei Zinnen des Filmtitels sind Berggipfel in den italienischen Dolomiten. Irgendwo in der ersten Hälfte des Film hat Aaron (Alexander Fehling) eine Diskussion mit Tristan, dem achtjährigen Sohn seiner Freundin: Ist das nun ein Berg mit drei Gipfeln, oder sind es drei verschiedene Berge?

Die Drei Zinnen, das sind auch die drei Figuren des Films. Aaron, seine Freundin Léa (Bérénice Bejo) und deren Sohn aus der vorherigen Beziehung, der kleine Tristan. Ob die drei separate, einsame Gipfel bilden, oder zusammen zu einem Berg werden, darum dreht sich Drei Zinnen – und dies zunehmend und überzeugend dramatisch. „Locarno 17: DREI ZINNEN von Jan Zabeil (Piazza Grande)“ weiterlesen

Locarno 17: LUCKY von John Carroll Lynch (Wettbewerb)

Harry Dean Stanton als Lucky © Magnolia Pictures

Was für ein hinreissender Film! Was für eine umwerfende Figur!

«You are nothing!» begrüsst Diner-Chef Joe (Barry Shabaka Henley) den neunzigjährigen Lucky (Harry Dean Stanton) am Morgen. «Danke, Du bist auch nichts!» lautet dessen rituelle Antwort. „Locarno 17: LUCKY von John Carroll Lynch (Wettbewerb)“ weiterlesen