Cannes 09: The Time that Remains

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Der israelische Palästinenser Elia Suleiman ist noch in bester Erinnerung für seinen Cannes-Beitrag von 2002: Divine Intervention. Der urkomische, lakonisch-poetische Stil, mit dem er damals die Absurditäten im täglichen Leben im nahen Osten ins Auge fasste, hat den Film zu einer dauerhaften Erinnerung gemacht. Und Suleimans neuer, der heute hier in Cannes im Wettbewerb gezeigt wurde, führt den eigenwilligen Stil weiter in die Vergangenheit. Suleiman erzählt aus der eigenen Familiengeschichte und seiner Kindheit und Jugend in Nazareth. Zunächst aber von 1948, dem Gründungsjahr Israels, der Eroberung oder Befreiung Nazareths, je nach Perspektive, und von seinem Vater, einem Widerstandskämpfer.

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Cannes 09: Untertitelte Basterds

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Yes! Yes! Yes! Yes! Martin Wuttke als Hitler in 'Inglourious Basterds'

Ich gehöre ja leider zur Fraktion jener, die von Tarantinos neuem Opus enttäuscht sind, unter anderem, weil ich finde, dass das serielle Nazikillen eher in einen Egoshooter gehört als ins Kino. Aber einen Verdienst hat Inglourious Basterds auf sicher: Tarantino spielt mit den Sprachen, er lässt die Figuren in ihren jeweiligen Landessprachen (und fremdem Italienisch) reden und bringt immer wieder Untertitel ins Bild. Genau jene Untertitel, von denen ein paar Schweizer Kinobetreiber und Verleiher behaupten, ihr Publikum goutiere sie nicht mehr.

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Cannes 09: Das weisse Band

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Michael Haneke, der Österreicher, ist längst auch ein Franzose hier in Cannes. Spätestens seit seinen französischen Filmen wie Code inconnue oder Caché mit Juliette Binoche, ist er hier in Cannes jeweils auch angetreten à defendre la France, wie die Franzosen das gerne sehen. Mit Das Weisse Band ist er allerdings zurück in der unheimlichen Heimat. Nicht gerade Österreich, mehr das protestantische Norddeutschland, dazu kurz vor dem ersten Weltkrieg, in einem Dorf, das eine Welt ist. Aber was sich da abspielt, unter der dünnen Oberfläche des Alltags, das ist so mörderisch und niederträchtig, dass man sich trotzdem im österreichischen Kino wähnt.

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Cannes 09: Drag Me to Hell

Drag Me to Hell Sam Raimi

Die bösen Toten, die Evil Dead, sind Sam Raimis Hauptdomäne, auch wenn ich persönlich seine Ausflüge ins Comic-Genre interessanter finde, angefangen bei Darkman bis hin zu seiner Spiderman-Serie. Mit Drag Me to Hell, der hier in Cannes ausser Konkurrenz gezeigt wurde, zerreisst Raimi nun allerdings keine Stricke. Das ist eine kompetent und effizient gemachte Variation bekannter Vorbilder. Die von Alison Lohman gespielte junge und ehrgeizige Bankfrau verweigert einer alten Zigeunerfrau die Schuldenverlängerung, worauf sie von dieser sehr unappetitlich verflucht wird. Eine Lamia hat sie ihr auf den Hals gehetzt, einen Höllengeist, der sie drei Tage plagen und dann in die Hölle zerren wird.

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Cannes 09: Inglourious Basterds

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Das Kino war randvoll, aber der Irrsinn hielt sich in Grenzen heute morgen. Zumindest bis der Film anfing. Inglourious Basterds zelebriert Quentin Tarantinos Liebe zum Trash- und Actionkino der siebziger Jahre weiter, gleichzeitig ist der Film aber für Cannes und sein Festivalpublikum gemacht: Er ist randvoll mit cinéphilen Aperçus, er spielt zu grossen Teilen in einem Kino in Paris, eine der Heldinnen erklärt einem deutschen Besatzungssoldaten, sie sei Französin und in Frankreich liebe und respektiere man die Auteurs, und schliesslich ist einer der britischen ‚Basterds‘ ein Filmkritiker und Filmhistoriker. Wer aber sind die ‚Basterds‘?

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Cannes 09: Les herbes folles

Les herbes folles Alain Resnais

Den neuen Film des 87jährigen Alain Resnais zu beschreiben, ist zwar möglich, aber kaum so, dass man ihm gerecht würde. In Les herbes folles spielt Resnais‘ Lebensgefährtin Sabine Azéma die Zahnärztin Marguerite Muir, ein überspanntes Wesen mit einem ständig unter Strom stehenden Haarschopf wie die Rote Zora. Sie fährt einen kanariengelben Smart Roadster, fliegt Kleinflugzeuge und restauriert mit fünf genialen Mechanikern zusammen eine alte Spitfire. Weil ihr beim Schuhekaufen in Paris ihre Tasche entrissen wird, findet der Frühpensionär George Palet (André Dussolier) ihre Brieftasche und ist fasziniert von den Fotos der Frau auf den Ausweisen. Der Film folgt einem Roman von Christian Gailly und er fühlt sich an wie ein munterer kleiner Fluss, der unaufhaltsam gluckernd seinen Lauf nimmt.

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Cannes 09: ökologischer Unsinn

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Vom ökologischen Standpunkt her ist so ein Filmfestival eine Katastrophe: In den sieben Tagen, in denen ich jetzt hier bin, hat sich dieser Papierhaufen in meinem Zimmer angesammelt. Und das ist nur der Teil, den ich nicht direkt entsorgt habe. Rund sechs sogenannte Trade-Papers wie Variety, Screen oder der Hollywood Reporter kommen mit einer täglichen Ausgabe, die gratis verteilt wird. Bei vier- bis sechstausend Journalisten und noch einmal so vielen Einkäufern und Verkäufern sind das unglaubliche Papiermengen, welche da Nacht für Nacht bedruckt werden. Dazu kommen die Presseunterlagen zu den einzelnen Filmen, nicht nur in den Sektionen, sondern auch jene, die auf dem Markt feilgeboten werden.

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Cannes 09: Kynodontas – Dogtooth

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Der «Hundezahn» ist der Eckzahn. Und wenn ein Eckzahn ausfällt, egal ob der rechte oder der linke, erst dann ist ein Kind erwachsen und kann das Haus und den Garten verlassen. Und erst, wenn der Eckzahn wieder nachgewachsen ist, ist das Kind alt genug, um Auto zu fahren. Und ohne Auto darf man den Garten nicht verlassen. Denn draussen lauern Monster, «Katzen» genannt, sie haben den ältesten Bruder zerfleischt.

Zombies sind kleine gelbe Blumen. Die drei fast erwachsenen Kinder dieses Ehepaars, zwei Mädchen und ein Junge, kennen keine andere Welt, als die innerhalb des Gartenzauns. Nur die junge Frau Christina, eine Eingangswächterin in der Fabrik des Vaters, wird hin und wieder von diesem nach Hause gebracht, im Auto, mit verbundenen Augen, um dem Jungen beim Ausleben seiner Sexualität zu helfen.

Es ist eine beklemmende Welt, welche der Grieche Yorgos Lanthimos in diesem Film zeichnet.

Der Film, der in Cannes in der offiziellen Reihe «Un certain regard» gezeigt wurde, ist mit minimalen Sets und sieben Schauspielern gedreht worden.

Die wie eine Versuchsanlage aufgebaute Situation erinnert an Michael Haneke, die Situation der drei jungen Leute an jene der Bewohner von M. Night Shyamalans The Village, denen die Dorfvorsteher weis machen, jenseits der grossen Wiese lebten die «Anderen», denen man nie in die Fänge geraten dürfe.

Dabei lässt einen dieser Film lange Zeit im Ungewissen darüber, warum sich diese zwei jungen Frauen und der junge Mann so eigenartig benehmen. Sie spielen kindliche Spiele und reden so emotionslos und eigenartig, als ob sie Sätze eines Sprachkurses üben würden. Nur gelegentliches Aufblitzen verzweifelter Aggressionen durchbrechen die Monotonie des Alltags.

Und es dauert auch nicht lange, bis man sich an all jene Diktaturen erinnert fühlt, in denen Wissen von den Mächtigen verwaltet und manipuliert wird. Und natürlich entzieht sich immer etwas der Kontrolle der Kontrolleure, Informationsfetzen von aussen bringen Gedankengänge ins Rollen, und wenn die jungen Leute falsche Schlüsse ziehen, muss das System nachgebessert werden, bis seine einstige Logik löchrig wird.

Kynodontas ist ein erschreckend effizienter und böser Film. Dass es mit so wenig Aufwand gelingt, eine eigentlich theatralische Anlage (der Regisseur kommt von der Bühne) filmisch umzusetzen, mit eindrücklichen Bildern, ist ein weiterer Beweis dafür, dass Filmemachen mit kleinem Budget zu grossen Resultaten führen kann.

Nachtrag 23. Mai: Der Film hat den «Prix Un Certain Regard» 2009 gewonnen.

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Cannes 09: Los abrazos rotos

Los abrazos rotos Pedro Almodovar
Penélope Cruz und José Luis Gómez in Almodóvars 'Los abrazos rotos'

Dieses Festival verstellt einem Jahr für Jahr den Blick auf die Realität, oder sagen wir: den Alltag des Kinos. Hier sind dermassen viele spannende, erstklassige, aussergewöhnliche und hin und wieder auch wirklich grossartige Filme zu sehen, dass man regelmässig schon nach ein paar Tagen zum Mäkler wird. Pedro Almodovar, zum Beispiel, hat oft genug bewiesen, dass er ein Magier der Kinoleidenschaft ist. Und Los abrazos rotos ist ein wunderbarer Film. Bloss nicht Almodovars bester und damit wohl auch wieder nicht die goldene Palme, die der Spanier seit Jahren ersehnt (und mit früheren Filmen längst verdient hätte). Wenn Filmemacher Filme übers Filmemachen machen, sind sie meistens in der Krise (Fellini mit Otto e mezzo, bzw. Woody Allen mit seinem persönlichen Remake davon: Stardust Memories). Die Krise des Filmemachers diktiert das Drehbuch.

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Cannes 09: Azurblicke

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Die Côte d’Azur heisst ja nicht nur so, sie ist es auch meistens. Und während des Filmfestivals sind nicht nur die beiden Buchten voll mit Booten, sondern meist auch der Himmel mit Flugzeugen, Ballonen, Zeppelinen und Feuerwerk.

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