Duisburg 11: DIE GROSSE PASSION von Jörg Adolph

Die große Passion

Es gibt viel zu viele Dinge, die wir einfach abnicken. Oberammergauer Passionsspiele? Ja eben. Kruzifix! Weit gefehlt: Passion wird durch Kleinigkeiten entfacht. Beim Dokumentarfilmer Jörg Adolph, der vor zwei Jahren mit Lost Town in Duisburg war, hat ein Satz des designierten Oberammergauer Spielleiters Christian Stückl gereicht, um das Interesse des Filmemachers herauszufordern: Er wolle einen neuen Jesus inszenieren, nicht den traditionellen, „der kam auf die Bühne, als hätte er einen Korken im Hintern, auf dem Ich-bin-der-Messias steht“. Und mit dem gebürtigen Oberammergauer Stückl hatte Adolph auch schon den Helden für seine Passion. Einen Helden, der alles mögliche zu haben scheint, aber ganz sicher keinen Zapfen im Arsch.

Mit hundertvierundvierzig Minuten ist Die Grosse Passion keine Sekunde zu lang, der Film nimmt so gut wie alles auf, was einen an Fragen und Fragezeichen durch den Kopf geht, wenn man die 400 Jahre alte, alle zehn Jahre stattfindende Touristenattraktion Bayerns denkt. Und zugleich kommt das völlig natürlich, Adolph hat aus dem Zentrum heraus gefilmt, aus der Inszenierungsarbeit, und ist dabei immer wieder einzelnen Protagonisten in die Welt hinaus gefolgt (zum Beispiel Jesus in eine amerikanische TV-Talk-Show). Gravitationszentrum ist aber der Stückl, und der hat es in sich. Ein ewig grinsender, kettenrauchender Sohn des Dorfes, der sein Heil in der Flucht nach vorne gesucht hat, und sich von den Traditionen auf die denkbar aktivste Art befreit, in dem er sie selber vorführt und erneuert.

Was den Film so faszinierend macht (neben den wirklich starken Figuren, die er uns näher bringt), ist diese Mischung aus Wirtschaftsdokumentation (die Oberammergauer Passionsspiele kosten Millionen, und sie machen im Normalfall einen unglaublichen Profit) und volkstheologischem Ringen. Was darf man ändern an den traditionellen Bildern, was muss bleiben? Wie geht man mit den immer wiederkehrenden Bedenken der Anti Defamation League um, die versucht, dem Bild der Juden als Jesusmörder einhalt zu gebieten? Wie hält man den Mythos Oberammergau bei den christlichen Amerikanern aufrecht? Wie kriegt man den Papst nach Oberammergau? Und, in den Worten des Filmemachers: Wie inszeniert man Jesus in der Basisdemokratie? Denn die Gemeinde lebt nicht nur mit und für die Passionsspiele, sie ist auch auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig und damit auch ihre politischen Vertreter. Mit dem Blick auf all diese Hintergründe bekommt Adolphs Film Züge einer Wirtschafts- und Politdoku, die nicht wieder verschwinden.

Die große Passion INRI

Der grossartigste Moment in diesem an starken Momenten ohnehin überaus reichen Film, ist allerdings jener, in der Regisseur Stückl einen seiner beiden Jesusdarsteller warnt: Es sei schon vielen so gegangen wie dem Ur-Jesuiten Ignatius von Loyola. Einen Moment nicht aufpassen, und schwupps bist du ein Werkzeug Gottes. Das erschrockene Gesicht des jungen Mannes, auf das die Kamera gnadenlos drauf hält, ist der grosse Moment der Wahrheit in diesem Film.

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