Heute Abend hätte Roman Polanski am Zurich Film Festival einen Preis entgegennehmen sollen. Aber gestern Samstag wurde er offenbar in Zürich verhaftet, aufgrund eines Haftbefehls von 1978. Wenn das stimmt, ist es doppelt absurd, denn Polanski war seit 1978 immer wieder in der Schweiz, unter anderem 1995 am ersten Cinemusic Festival in Gstaad. Hier die Meldung des Zurich Film Festivals. So idiotisch der Vorgang auf den ersten Blick erscheint (ist mit dem Fall des Bankgeheimnisses auch die Rechtssouveränität aufgegeben worden?) – dem Zurich Film Festival bringt der Vorfall seiner Peinlichkeit zum Trotz globale Schlagzeilen. Der Schweiz auch, aber die braucht das Land so nicht wirklich…
Nachtrag von 13 Uhr:
Protest von den Schweizer Filmschaffenden des ARF / FDS
Schweizer Filmer protestieren vehement!
Die Verhaftung Polanskis ist nicht nur eine groteske Justizposse, sondern auch ein ungeheuerer Kulturskandal.
Die Verhaftung von Roman Polanski, der heute Sonntag am 5. Zurich Film Festival für sein Lebenswerk geehrt werden sollte, ist nicht nur ein juristischer Skandal, der dem Ansehen der Schweiz weltweit immensen Schaden zufügen wird, sondern auch eine Ohrfeige ins Gesicht aller Kulturschaffenden in der Schweiz. Wir Schweizer Filmer und Filmerinnen protestieren scharf und fordern das Bundesamt für Justiz auf, die kulturelle Ehrung eines international anerkannten Filmkünstlers nicht für eine Schweizer Justizposse auszunutzen.Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass die Schweizer Justiz dem Begehren der USA , auf einen amerikanischen Haftbefehl aus dem Jahr 1978 (!) fussend, nachgibt, damit einer der renommiertesten Filmregisseure der Welt wegen einem über dreissig Jahre zurückliegenden Fall verhaftet wird.
Nachtrag 2 von 13.20 Uhr:
Erinnert irgendwie an die Geschichte des Dirigenten Pierre Boulez, der 2001 in Basel aus dem Hotelbett heraus als Terrorist verhaftet wurde…
Nachtrag 3 von 13.40 Uhr:
Die Website der New York Times hat die Meldung via AP aufgenommen. Gegenüber der AP habe weder der Sprecher der Zürcher Polizei noch jener des Bundesjustizdepartementes die Vorgänge bisher näher erläutert.
Nachtrag 4 von 13.55 Uhr:
Die Geschichte des Justizfalls Roman Polanski hat der HBO-Dokumentarfilm Wanted and Desired von Marina Zenovich letztes Jahr akribisch aufgearbeitet. Bis hin zu der Tatsache, dass die US-Justiz sich allen Aufrufen zum Trotz nicht zu einer Verjährung hat durchringen können. Hier der Trailer zum Film auf YouTube:
Nachtrag 5 von 16.45 Uhr:
Das Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gibt ein paar magere Punkte als Stellungsnahme bekannt:
Stellungnahme : Verhaftung von Roman Polanski
Bern, 27.09.2009 –
- Roman Polanski wurde gestern Abend bei seiner Ankunft auf der Basis eines US-Haftbefehls in provisorische Auslieferungshaft genommen.
- Die US-Behörden werfen Roman Polanski sexuelle Handlungen mit Kindern vor, namentlich in einem Fall von 1977 mit einem 13-jährigen Mädchen in Los Angeles.
- Seit Ende 2005 fahnden die US-Behörden weltweit nach Roman Polanski.
- Ein US-Haftbefehl gegen Roman Polanski liegt seit 1978 vor.
- Ob Roman Polanski tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, steht erst fest, wenn das Auslieferungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Sowohl ein Auslieferungshaftbefehl als auch ein Auslieferungsentscheid kann beim Bundesstrafgericht angefochten werden. Dessen Entscheide können ans Bundesgericht weiter gezogen werden.
- Aus Rücksicht auf das nun laufende Verfahren können derzeit keine weiteren Angaben gemacht werden.
Adresse für Rückfragen:
Brigitte Hauser-Süess, Informationsdienst EJPD, Tel. +41 31 322 40 90
Guido Balmer, Informationsdienst EJPD, Tel. +41 31 322 40 40Herausgeber:
- Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Internet: http://www.ejpd.admin.ch
Nachtrag 5 von 20.00 Uhr
Inzwischen hat sich Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zum Vorgehen der Bundesbehörden geäussert: «Wir konnten rechtlich nichts anderes machen» (die ganze Aussage im Oton gibts hier ganz unten zu hören). Unter anderem weist sie darauf hin, dass ein Auslieferungsbegehren gemäss Abkommen mit den USA verbindlich sei, und dass natürlich weder Polen noch Frankreich, dreren Büergerrechte Polanski besitzt, ihre eigenen Bürger ausliefern würden – was auch die Schweiz nicht täte. Allerdings beträfen die Vorwürfe an Polanski erstens kein Kavaliersdelikt und zweitens sei nach der neuen Schweizer Rechtslage der sexuelle Missbrauch Minderjähriger auch in der Schweiz nicht mehr verjährbar.
Dazu, dass Polanski nicht schon bei frühreren Besuchen in Gstaad verhaftet worden sei, erklärt sie, da hätten die Behörden (anders als die Journalisten?) eben jeweils erst im Nachhinein von seinem Aufenthalt in der Schweiz erfahren, im Gegensatz zu seinem gross angekündigten Auftritt am Zurich Film Festival, der für heute Abend geplant war.
Stellt sich für den politischen Laien noch die Frage, warum die Diplomatie des Landes nicht auf die Idee gekommen ist, das Zurich Film Festival frühzeitig auf das Auslieferungsbegeheren aufmerksam zu machen. Aber wahrscheinlich ist es zur Zeit eben doch wichtiger, gegenüber den USA die Rolle des Musterknaben zu spielen, als gegenüber dem Rest der Welt.
Also zu „diesen Kreisen“ finde ich: Polanskis Leben und Treiben ist filmreif und übertrifft sogar David Lynchs ‚Mullholland Drive‘: ein polnischer Jude vergewaltigt in der Villa von Jack Nicholson (eben: am Mulholland Drive) bei einem fotoshooting eine karrieregeile 13jährige. Angelica Houston gibt zu Prokoll, dass Mädchen habe auf sie nicht „distressed“ gewirkt. Später wird Polanski von einem antisemitischen Richter hintergangen, der den Deal zwischen Staatsanwalt und Strafverteidiger platzen lässt und damit Polanski lebenslange Flucht auslöst.
Notabene: das Ganze nachdem die von ihm schwangere Sharon Tate von der Manson-Bande hingemetzelt worden – nach dem Muster wohl des Horrorfilms ‚Rosemaries Baby’…
Hollywoods Traumfabrik könnte sich doch wirklich den realen Alptraum ihrer Schauspieler und Regisseure annehmen …
Notabene: ich billige Polanskis Verhalten in keiner Weise, doch muss man sich die Gegenwart vor Augen halten: ich habe gerade in der bazonline gelesen, dass ein ungarischer Trainer (Janos S.) 5 Buben im Alter zwischen 10 und 14 Jahren missbraucht haben soll und er ist zu einer stationären Therapie verurteilt worden. Später dann noch zu einem Landesverweis: jetzt ist er Ungarn und trainiert dort wieder eine Jungenmannschaft … ha ha
hier der link zum Trainer, der Buben missbraucht hat
http://bazonline.ch/basel/stadt/So-loest-Basel-paedophile-Probleme/story/14773751/print.html
Man sollte sich den DOK-Film von Marina Zenovich anschauen, der bei aller Sympathie für Roman Polanski die objektiven Bedingungen des Verfahrens rekonstruiert: die Staatsanwaltschaft musste die Anklagepunkte wegen Vergewaltigung, Sodomie sowie Abgabe von Drogen fallenlassen, weil die Gegenpartei nicht wollte, dass das Opfer vor Gericht aussagt. Damit war eigentlich nur das Vergehen wegen ‚rechtswidrigem Sexualverkehr mit Minderjährigen‘ noch justitiabel. Dies widerstrebte dem Richter (Rittenband), der eine allfällige Appellation Polanskis bei einer Verurteilung zu einer Haftstrafe unbedingt verhindert wollte. Er wollte also den rechtmässigen Justizweg vorsätzlich abschneiden und hat Polanskis Verteidiger und dem Staatsanwalt ein Scheinverfahren vorgeschlagen, das er dann selbst torpediert hat, indem er eine 90tägige psychiatrische Diagnostik in einem Gefängnis als „Strafe“ vorschlug (dagegen hätte man anscheinend nicht appellieren können, womit sich Rittenband hätte sicher sein können, dass Polanski die 90 Tage absitzen muss ohne Möglichkeit einer Einsprache). Doch das persönliche Strafbedürfnis des Richters misslang, weil selbst das Gefängnis (Chino) nach 45 Tagen zum Schluss kam, dass Polanski nicht geistesverrückt ist. Rittenband setzte die restlichen Tage aus und Polanski konnte offiziell die USA zwecks Arbeit verlassen. Zwielichtige Pressefotos veranlassten Rittenband Polanski in die USA zurückzubeordern. Polanski ging tatsächlich in die USA zurück, um sich der Justiz zu stellen. Doch als der Richter Rittenband vom Staatsanwalt und von Polanskis Verteidiger abermals ein Scheinverfahren abverlangte und diese beiden sich nun nicht mehr der Loyalität des Richters sicher sein konnten, haben sie veranlasst, dass Rittenband vom Verfahren als Richter abberufen wurde, was dann auch geschah. Erst in diesem Stadium hat Polanski die USA verlassen, d.h. nachdem er die Hälfte der Strafe abgesessen hatte und nachdem er es abgelehnt hatte, den Prozess einer TV-Übertragung öffentlich zu machen.
Sogar der Anwalt des Opfers gab zu, dass Polanski kein faires Verfahren erhalten hatte.
Das Opfer seinerseits bekam kein faires Verhalten vonseiten der Medien (wie früher schon das Opfer Polanski bei der Ermordung seiner Frau). Die europäische Presse hatte nämlich den Namen von Samantha Gailey veröffentlicht und sie der globalen Lächerlichkeit preisgegeben (ei, Mädel, Nasti Kinski wollte es ja auch usw.). Wenn man nun also realistischerweise davon ausgeht, dass das Opfer Samantha Gailey auch heutzutage nicht bereit sein wird, vor Gericht auszusagen, dann bleibt wiederum nur ein einziger Anklagepunkt übrig („unlawful sex“), Samanthas halbierte Unterhose mit Polanskis Spermaflecken als Beweis für den Geschlechtsverkehr, zwei gültige psychiatrische Diagnostiken, dass Polanski nicht geistesverrückt ist sowie die Abberufung eines Richters, der die Möglichkeit einer Appellation mit allen Tricks verhindert wollte. Geht es nun also um die restlichen 45 Tage Gefängnis, die Polanski nicht in der state prison in Chino abgesessen hat?
Dass Polanski später in Frankreich in die ‚académie francaise‘ aufgenommen wurde als sei gar nichts passiert, ist irgendwie auch unappetitlich. Ich denke – ausser dem Opfer, das mit der unerwünschten publicity der Presse doppelt bestraft wurde – hat sich niemand zurückhaltend verhalten: weder die USA noch Frankreich und -last but least- die Schweiz:
Die Polizisten am Zürcher Flughafen haben mit der Verhaftung Polanskis sicher ihre Pflicht erfüllt, stolz darauf sollten sie nicht sein. Sollten nun die Richter zum Schluss kommen, die Bedingungen für eine Auslieferung seien erfüllt, dann kann man als Schweizerin ebenfalls nicht stolz auf die Leistung sein.
Es stimmt eben nicht, dass politische Erwägungen keinen Einfluss auf Justizverfahren haben. Schliesslich wurde Pinochet von England auch nicht an Chile ausgeliefert aus Altersgründen. Aber vielleicht war diese Ausnahme ja explizit in einem Vertrag zwischen UK und Chile vereinbart.
Wenn die Franzosen nun ihren Staatsbürger unbedingt vor einer Auslieferung in die USA retten möchten, müssten sie ihn – im Sinne einer stellvertretenden Rechtspflege – selber anklagen und dann von der Schweiz die Auslieferung verlangen. Da Polanski Franzose ist, hätte dieses französische Begehren wahrscheinlich Priorität vor dem amerikanischen …. Darüber können sich aber nun die Völkerrechtler streiten