Die Nachtmahr wird Wirklichkeit
Über alles gesehen hat die Chronik etwas konstant Unbeschreibliches an sich. Es ist wohl nur Wenigen, seien sie hiesige oder andere Europäer, auch Amerikaner, in seinem Aberwitz restlos aufgegangen. Ein angesehener Filmemacher seit bald 50 Jahren wird in ein Land eingeladen, das er schon oft besucht hat. Eine Auszeichnung für das Erbrachte winkt ihm dort, ähnliche sind im Dutzend beiläufiger. Der Gedanke, die Kultur liesse sich auch ohne den ganzen Firlefanz um Lorbeerkranz unterstützen, ist keineswegs neu oder weit hergeholt. Goldene Palme, Oscars beeindrucken alle, die Roman Polanskis Filme weder kennen noch kennen lernen wollen, geschweige denn zu schätzen versuchen.
Der Kandidat hätte absagen können, kein Schaden wäre ihm oder andern daraus erwachsen. Schliesslich gibt es immer noch weniger Preise als mögliche Empfänger. Wenn er wahrhaftig anreist, dann als ein Freund der Schweiz, oder weil er sich vielleicht nur als solcher gebärdet, aus nachvollziehbaren Gründen wie Niederlassung, Bankgeheimnis oder Steuersatz. Wen kümmert’s ? So manche andere halten sich schadlos. Indessen will kein Mensch die überflüssigerweise vorbereite Urkunde und Lobesrede und das unkassiert gebliebene bisschen Grapsch dem Ehrungswürdigen madig machen. Alles hätte er bekommen dürfen, ohne einen Hahnenschrei.
‹On n’arrête pas Voltaire›
Seine Verhaftung schockiert so sehr, dass sich anfänglich viele weigern, wohl auch der Arrestant selber, an eine arglistig gestellte Falle zu glauben. Aus der Gruft wird ein zerfallen geglaubter Skandal geschaufelt, was bedeutet, wie eh und je : Ursachen und Hergänge sind weniger gefragt als Urheber. Für alles angeprangert wird in diesem Fall der Hereingefallene und -genommene, dessen Vergangenheit in der Tat eine düstere Episode einschliesst. Doch welcher Mann kann schon mit 76 in Anspruch nehmen, nie jemandem ein Leids getan zu haben?
Mit 13 konnte jenes Mädchen wohl noch makellos sein, das er missbraucht haben soll, einem Bekenntnis zufolge, das unter höchst fragwürdigen Umständen auf den Tisch gefeilscht wurde. Unterdessen will die erwachsene Frau nichts mehr von der frisch gehobenen Schauermär wissen. Was bliebe der bis heute medial Mitverfolgten auch anderes übrig als den tatsächlichen oder angeblichen Unhold weder zu be- noch zu entlasten ? Anwälte, Richter hätten es leicht, ihre Aussagen nachzulesen. Selber wäre die Zeugin ausserstande, sich zu erinnern, weil vermutlich unwillens.
Polanskis aus- und inländische Plaggeister von damals und heute beriefen und berufen sich in der Tat nur auf die Paragrafen. ‹Nur› heisst : ohne Rücksicht auf Vorgeschichte oder Konsequenzen und ohne Ansehen der Person und ihres Ansehens. Erst mal dreinschiessen, Fragen werden Hinterher gestellt. ‹Shoot first, ask questions later.› Was immer sich nur holprig zusammen reimt, ein Reim wird sich darauf schon machen lassen: irgendwann später halt. Was waren schon, von ehedem aus gerechnet, ein paar müde Dekaden Prozess, und was wären, von jetzt ausgesehen, ein paar weitere, solange am Ende der letzte Zweifel widerlegt ist und die letzte Strafe ausgehalten ? Operazion gelungen, Pazient gestorben. ‹Vivat justitia, pereat mundus.› Die Justiz überlebt Täter und Opfer.
Vor dem Gesetz, heisst es unerbittlich, sei nun einmal keiner gleicher als ein anderer. Aber : ‹On n’arrête pas Voltaire›, soll Charles de Gaulle gesagt haben, als eine Verhaftung Jean-Paul Sartres anstand. Die Staatsanwälte hätten den Filosofen und Schriftsteller für Jahre hinter Gitter bringen können. Freilich liess sich absehen, dass dem Recht wohl Genüge getan, aber kein Gefallen erwiesen worden wäre. Die in Kalifornien ausgerichteten Entschädigungen, die wohl eher Schweigegelder, ‹hush money› waren, lassen sich ausser Acht lassen, desgleichen der Profit, den die Medien aus der schmuddeligen Endlos-Affäre schlugen und schlagen. Für alles Übrige aber hat die Verfolgung und Einkerkerung Roman Polanskis jedermann nur Verdruss und Verluste gebracht. Ein Wegschliessen für den Rest seiner Tage bleibt gewiss machbar, wie viel auch immer schon dazwischen gekommen ist und weiter in die Quere geraten mag. Er wird also noch bereuen müssen, wenn er’s nicht schon getan hat – aber mit ihm alle andern. Hätte ich doch nie. Hätten wir doch nie auch nur daran gedacht.
‹Corriger la fortune›
Jene historische Begebenheit mag Tatsächliches und Hinzugefügtes umfasst haben. Tinsel Town kennt sich aus mit Fakten und deren Anreicherung. Das, was als verbriefte Wahrheit so oder anders dargestellt wird, von den einen bekräftigt, von den andern bezweifelt, ist aus einem Handel hervorgegangen, der an die marokkanischen Kamelmärkte erinnert, aber auch an das mittelalterliche christliche Absoluzions-Business oder die Quadratmeterpreise und Neuwagen-Rabatte in Wallisellen. Das Höchstmass, heisst das, wird über alle Gipfel emporgeschoben, aber der Rabatt ist von Anfang an einkalkuliert. Sechs Anklagepunkte bekommt der Beschuldigte um die Ohren gehauen. Fünf werden weggeputzt, wenn er bei einem gesteht.
Was für ein breites Entgegenkommen! Fast lebenslänglich kriegen Sie, aber nur gegen Dankbarkeit fürs ungehängt Bleiben. Läge den Rechts-Systemen weniger an den fleissig betriebenen Einknastungen und Aufknüpfungen und dafür mehr am persönlichen Gewissen, müssten derlei Praktiken des Hochstapelns mit dem Zweck des Runterkrämerns eine sofortige Annulazion des Verfahrens bewirken, gefolgt von der Verfolgung der Verfolger. Ohne wenn und aber sollten Anwürfe entweder erhoben werden oder nicht. Aber worum schon einmal gemarktet wurde, lässt sich logischerweise jederzeit nachverhandeln. Noch von den Alpen aus steuert Polanski revidierte Vergleiche an, um herauszufinden, ob noch etwas mehr zerknirschte Schuldbeteuerung, zumal von der anhaltenden Sorte, zusätzlichen Nachlass schindet.
Die Spekulazionen, die auf Jahre hinter Gittern zielen, könnten plötzlich in ihr Gegenteil umschlagen: Freilassung, Gala in Hollywood, die verpatzte Zürcher Ehrung vom September 2009 wird nachgeholt. Schwarzenegger, auch er eine Figur der Leinwand, druckst feige herum und denkt an seine Wähler. Sarkozy schüttelt die Hand und entsinnt sich Charles de Gaulles. Auf einen Ausgang der ‹cause célèbre› wird entweder bereits gewettet, oder das heitere Ratespiel setzt mit der Ankunft des Häftlings in den USA ein und spätestens damit eine Manipulazion des Prozesses, die dann wohl kaum die erste ihrer Art gewesen wäre : jenes ‹corriger la fortune›, das so manches andersrum krümmt. Da liessen sich reichlich Vorteile spenden und annehmen.
So gesehen wäre eine Abschiebung ein unsinniger Schritt, der sich in eine Reihe schon vollzogener glatt einfügt. Polanski weiss, wovon er redet, wenn er sagt, seine grösste Angst seien die amerikanischen Medien, die immer wieder volksnahe Wunschurteile erwirkt haben. Als er sich damals, um einen kurzen Zwangsaufenthalt anzutreten, in einem Gefängnis des Staates Kalifornien einfand, standen gleich zwei Meuten bereit, je eine drinnen und draussen. Termingerecht waren Insassen und Reporter zum Empfang aufgeboten worden. Doppelt gemobbt trifft tiefer ins Gemüt. ‹Hi, Planski› sollen sie gerufen haben, mit verschlucktem O. Jetzt bist auch du nur noch eines von uns armen Schweinen.
Ausgeburt
Seine Filme zeichnen sich gewiss auch durch ein prononciertes, manchmal auf- bis zudringliches Interesse für die weibliche und jungweibliche Erotik aus. Mehr aber noch handeln sie von dem, was er am besten kennt, seit den Zeiten im deutsch besetzten Polen und, später, des Mordes an seiner schwangeren Gattin Sharon Tate. Leitmotiv ist die Verfolgung durch Fluch und Geschick, die bisweilen die Form einer übernatürlichen Fügung anzunehmen scheint. Die Ängste, der Schrecken, das Leid, der Gedanke an die unglücklichen Zufälle müssen dem Regisseur nachgerade abhanden gekommen sein. Er hat sie alle, aus der eigenen hautnahen Erfahrung, mittels Blitzableiter an seine Stoffe weitergereicht.
Rosemary’s Baby, um nur ein Beispiel zu nennen, schildert eine satanische Schwangerschaft und wandelt dabei mit einem sehenden und einem geschlossenen Auge entlang der Grenze zwischen Alptraum und Realität. ‹This is not a dream. This is really happening.› Mit den legendär gewordenen Worten quittiert die noch sehr mädchenhaft naive Titelheldin, in schlaftrunkenem Zustand, noch kaum halbwach, die nächtliche Begattung durch den Herrn der Hölle in Person, der nach Vollzug schleunigst die Rückfahrt untertags antritt.
Er sei ‹a man of wealth and taste› sangen in jener Zeit die Rolling Stones, ein Mann von Vermögen und Geschmack, und bezeugten Mitleid mit dem Teufel, ‹Sympathy for the Devil›. Rosemary, die jungfräuliche Rose, wird einen Sohn zur Welt bringen. Mit den raubtierähnlich gelben Augen seines Erzeugers ist er eine Wirklichkeit gewordene Nachtmahr, eine Ausgeburt. Das Schlimmste treffe nie mit Sicherheit ein, sagt man leichthin. Polanski hat’s auch schon anders erlebt.
Pierre Lachat
Mehr zu Polanski hier im ursprünglichen Blogeintrag vom Tag nach seiner Verhaftung (mit über 150 Kommentaren).
lieber herr lachat
diese art von lamento macht mich richtig wütend – je mehr davon ich lese. es zeugt von einem verständnis des rechtsstaates, das mich immer wieder erstaunt. wir haben uns gesetze gegeben und haben die möglichkeit, diese zu ändern, sofern eine mehrheit dem zustimmt.
momentan steht fest: herr polanski hat eine offene rechnung mit dem rechtsstaat usa – und wir haben ein auslieferungsabkommem mit den usa.
wieso gibt es immer wieder leute, die alles besser zu wissen meinen als die gerichte? wenn die justiz unserer ansicht nach falsch funktioniert, haben wir die möglichkeit, richter (ab)zuwählen oder über gesetze abzustimmen. heutzutage müssen wir aber wohl aufpassen, dass diese nicht noch weiter in die andere richtung entgleisen: ich erinnere ungern an die aufhebung der verjährungsfrist für vergewaltigungen und an das jüngste minarettverbot…
wo bleiben in diesen debatten die stimmen der kulturschaffenden – und gehen sie auch alle immer abstimmen und wählen?
eine m.e. zutreffendere sicht auf den sachverhalt finden sie da: http://bit.ly/LK79F