Locarno 11: VOL SPÉCIAL von Fernand Melgar

Vol spécial 1

Dokumentarfilme im Wettbewerb sind oft eine besondere Knacknuss, auch, wenn sie sich eigentlich, genau wie die Spielfilme, durchaus an der Umsetzung ihrer Intention messen lassen. Der Lausanner Fernand Melgar hat 2008 der Schweiz mit La forteresse einen Spiegel vorgehalten und hier in locarno den Goldenen Leoparden in der Reihe Cineasti di presente gewonnen. Das war ein Dokumentarfilm über eine Asylbewerber-Internierungsstation, ein überaus sauber und fair gemachter Film über Hoffnungen, gescheiterte vor allem, aber auch ein paar erfüllte. Und gerade darum erschütternd, weil er uns das nahe brachte, was wir eigentlich alle wussten.

Vol spéciale ist nun eigentlich nichts weiter als die konsequente Fortführung der Dokumentation. Im Zentrum steht diesmal ein Ausschaffungsgefängnis für abgewiesene Asylbewerber. Jener Ort mithin, wo die Träume definitiv zu Ende sind und nur noch Trotz, Verzweiflung oder Resignation möglich.

Vol spécial 2

Wie schon in La forteresse arbeitet Melgar mit Respekt und Distanz, aber präzise und dringlich, vor allem die Beziehung zwischen den Insassen und ihren Betreuern heraus. In ihnen spiegelt sich die ganze Schizophrenie der Situation und der Festung Europa wider. Alle diese Männer (und eine einzige Frau) betonen immer wieder, dass sie nur das vollziehen, was das Gesetz, die Administration und der Souverän vorgegeben haben. Und als Zuschauer hat man keinen Grund, auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln. Diese zum Teil herzlichen, ernsthaft bedauernden und alles in ihrer Macht stehende umsetzenden Männer sind die Pufferzone zwischen uns und den Verzweifelten, die ausgeschafft werden. Die einzige Wahl, welche diesen Abgewiesenen bleibt, ist die zwischen widerstandsloser Rückschaffung via regulärem Flug, oder der Zwangsausschaffung über einen vol spécial.

Der Film ist so stark wie sein Vorgänger und noch deutlich erschütterndet. Auch darum, weil es ihm gelingt, die zu erwartende Hoffnungslosigkeit noch zu übertreffen. Auch vol spécial wird viel Zustimmung erfahren, und wohl noch mehr denunzierende Häme von der anderen Seite, insbesondere eine eindringliche, ziemlich unheimliche Sequenz, in der ein unmittelbar von der Zwangsausschaffung bedrohter Familienvater in seiner Verzweiflung verkündet, eines Tages werde sich das Blatt wenden und Europa nicht mehr in der Postion der Macht verharren können. Das ist der erschreckendste Moment in einem erschreckenden Film, denn er packt jeden einzelnen von uns bei den gleichen Ängsten gegen die sich viele kaum mehr zu wehren vermögen – auch wenn sie das ihre Menschlichkeit kostet.

Vol spécial ist in der Schweiz bei Look Now! im Verleih und kommt im September ins Kino.

Fernand Melgar
Fernand Melgar

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