Locarno 11: Die Preise

Milagros Mumenthaler mit ihrem Goldenen Leoparden ©Festival/Pedrazzini
Milagros Mumenthaler mit ihrem Goldenen Leoparden ©Festival/Pedrazzini

Die Juries haben entschieden, die Katzen sind verteilt:

Internationaler Wettbewerb

Pardo d’oro:
ABRIR PUERTAS Y VENTANAS (Back to Stay)
von Milagros Mumenthaler, Argentinien/Schweiz

Pardo d’oro speciale della giuria
Shinji Aoyama für den Film TOKYO KOEN und sein bemerkenswertes Filmschaffen

Spezialpreis der Jury:
HASHOTER (Policeman) von Nadav Lapid, Israel „Locarno 11: Die Preise“ weiterlesen

Locarno 11: SAUDADE von Katsuya Tomita

Saudade 4

Zum Ende des Wettbewerbs eine Überraschung aus Japan. Katsuya Tomita, Jahrgang 1972, wollte eigentlich Musiker werden, und dazu zog er aus der Provinzstadt Kofu nach Tokyo. Und dort erwischte ihn der Filmkäfer. Fünf Jahre lang kämpfte er, um seinen Erstling Above the Cloud zu realisieren, den er 2003 herausbringen konnte. Etliche Preise und einen Film später kehrte er nach Kofu zurück und nahm Saudade in Angriff.

Das portugiesisch-brasilianische Wort für Weltschmerz als Titel für einen japanischen Film? Schon dies alleine lässt aufhorchen und hinblicken. Und es lohnt sich!

„Locarno 11: SAUDADE von Katsuya Tomita“ weiterlesen

Locarno 11: Das Grandhotel im Dornröschenschlaf

Grandhotel Locarno copy Gebhard
Vom Dschungel geschluckt: Das Grand-Hotel Locarno ©Christian Gebhard

Es war die Wiege des Locarneser Filmfestivals, der Hort des frühen Glamours und das gesellschaftliche Zentrum jeder Festivalausgabe, bis das Grand-Hotel 2005 geschlossen wurde. Seither wartet das grosse Haus am Hang mit seinen Park-, Pool- und Tennisanlagen auf solvente Investoren und eine Neuverwertung. Kollege Christian Gebhard von der DRS2online-Redaktion hat vom Abwart des seit sechs Jahren leerstehenden Gebäudes eine Führung bekommen und fotografisch festgehalten, wie die Natur sich das Haus von aussen wieder aneignet und was im Inneren der Prachtsräume noch zu sehen ist. Eine Fotostrecke mit fünfzig Impressionen, welche manchen langjährigen Locarno-Gängern tiefe Seufzer entlocken dürfte.

Locarno 11: TANATHUR von Tawfik Abu Wael

Tanathur 1

Oh je. Der zweite Wettbewerbsfilm aus Israel, gedreht vom palästinensischen Theatermacher Tawfik Abu Wael, ist eine Tortur. Und für einmal liegt das nicht daran, dass es sich um einen in die länge gezogenen Kurzfilm handeln würde: Das wäre auch als Kurzfilm nicht besser geworden. Im Kern geht es um ein gut situiertes palästinensisches Paar in Jerusalem. Er ist Chirurg und hat sich in sie verliebt, als sie ihn um eine Abtreibung bat – mit diesen Szenen setzt der Film ein.

Sie ist Schauspielerin, eine schlechte übrigens, im Film wie in der Rolle, und ausgesprchen kapriziös. So unaustehlich egozentrisch und egoistisch tatsächlich, dass ich fast eine Stunde lang dachte, es sei vielleicht gar nicht der Film, der mir so sehr auf die Nerven ging, sondern bloss die Figur.

„Locarno 11: TANATHUR von Tawfik Abu Wael“ weiterlesen

Locarno 11: THE LONELIEST PLANET von Julia Loktev

The Loneliest Planet 1

Ein Liebespaar, verlobt, unterwegs. Globetrotter, eingespielte Hardcore-Backpacker, auf einem mehrtägigen Bergtrip im Kaukasus, mit ihrem georgischen Bergführer. Feste Schritte im rutschigen Felshang, spielerisches Klettern im Geröll. Alex (Gael Garcia Bernal) übt mit seiner leuchtend rothaarigen Nica (Hani Furstenberg) spanische Verben, der Bergführer blödelt auf Georgisch mit ihnen. Alex und Nica sind nicht nur verliebt, sie sind ein eingespieltes Team.

Filme wie dieser, mit minimalem Personal in grosser Landschaft, die haben grundsätzlich eine Drohung mit eingebaut. Man wartet auf eine dramatische Wende, einen falschen Schritt, einen Steinschlag. Und der ungefilterte Direktton, die harten Schnitte, die manchmal abrupt mit der Szene geschnittene Musik tragen das ihre dazu bei.

„Locarno 11: THE LONELIEST PLANET von Julia Loktev“ weiterlesen

Locarno 11: Backlot Stories von den online-Kollegen

Fili Filipelli, Chauffeur in Locarno seit über 30 Jahren ©Gebhard
Fili Filipelli, Chauffeur in Locarno seit über 30 Jahren ©Gebhard

Während ich hier bierernst und mit hängender Zunge versuche, wenigstens die wirklich guten und die eindrücklich nicht so guten Wettbewerbsfilme zu verbloggen, sind unsere DRS2-Online-Kollegen auf der Pirsch nach der Mechanik hinter den Kulissen des Festivals. Und dabei kommen kleine Perlen heraus, wie Kollege Christian Gebhards Kurzinterview mit einem der Limousinen-Fahrer, welche hier die Stars umherkutschieren. Und etliche andere wirklich hübsche Dinge, wie das Warten auf Depardieu, oder all der gelb-schwarz gefleckte Plunder, der hier ins Auge sticht. Ein Klick nach drüben in den DRS2-Blog lohnt sich auf jeden Fall.

Locarno 11: MANGROVE von Julie Gilbert und Frédéric Choffat

mangrove 1

Eine junge Französin kommt mit ihrem kleinen Sohn an einem Ort an der Pazifikküste an, der offensichtlich ihre Vergangenheit geprägt hat. Im Mangrovensumpf gräbt sie ein Messer aus, hin und wieder gibt es Flashbacks zu einer Liebesbeziehung mit einem einheimischen Mann. Geredet wird kaum, aber Hitze und fiebrige Nervosität sind spürbar.

Der dritte von der Schweiz koproduzierte Beitrag im Wettbewerb von Locarno ist auch der Schwächste. Er leidet am gleichen Syndrom wie etliche andere Filme im diesjährigen Angebot: Ein Stoff und eine Umsetzung, welche möglicherweise einen grandiosen Kurzfilm ergeben hätten, werden in die Länge eines Spielfilms gezogen, ohne den dafür nötigen grossen Atem zu haben.

„Locarno 11: MANGROVE von Julie Gilbert und Frédéric Choffat“ weiterlesen

Locarno 11: ONDER ONS von Marco van Geffen

onder ons 3

Die Grundidee dieses holländischen Wettbewerbsbeitrags ist raffiniert: Eine Geschichte stummer Angst, in wechselnder Perspektive erzählt, bis zum bitteren Ende. Die junge Polin Ewa ist als au pair-Mädchen nach Holland gekommen, bei dem jungen Paar, deren kleinen Sohn sie hütet, fühlt sie sich wohl, auch wenn sie so scheu ist, dass ihr kaum ein Wort zu entlocken ist.

Vor allem die hochschwangere Frau hat ein wenig Mühe mit dem stummen Mädchen, das sich dafür umso hingebungsvoller um das Kleinkind kümmert. Als sich Ewa mit einem anderen polnischen au pair anfreundet, scheint sie etwas offener zu werden – bis sie den Kontakt wieder abbricht und immer verschlossener wird. „Locarno 11: ONDER ONS von Marco van Geffen“ weiterlesen

Locarno 11: TOKYO KOEN von Shinji Aoyama

Tokyo Koen 1

Shinji Aoyamas Wettbewerbsbeitrag ist offenbar eine Romanverfilmung, nach einer Vorlage von Yukiya Shoji. Ich wäre nie darauf gekommen; obwohl der Film erzähltechnisch ein wenig mäandert, bleibt er stets beim Bild. Es ist eine komplexe Liebesgeschichte, beziehungsweise, es sind deren drei, welche durcheinanderfliessen, angereichert durch die freundliche Präsenz eines Geistes, einer Horde Zombies und eines Zahnarztes.

Koji ist Student und hoffnungsvoller Nachwuchsfotograf. Er teilt die Wohnung mit einem Freund, der einem manchmal etwas seltsam vorkommt, auch und gerade wegen der Herzlichkeit und Vertrautheit der beiden – denn der Freund scheint die Wohnug nie zu verlassen.

„Locarno 11: TOKYO KOEN von Shinji Aoyama“ weiterlesen

Locarno 11: ABRIR PUERTAS Y VENTANAS von Milagros Mumenthaler

Abrir 1

Wenn man schon die Wunder im Namen trägt, wie Milagros Mumenthaler, dann darf man sein Publikum auch mit einem traumartigen Film beglücken. Sonst natürlich auch. Abrir puertas y ventanas zeigt drei fast erwachsene Schwestern, die im grossen Haus ihrer kürzlich verstorbenen Grossmutter leben und dem Sprung in die erwachsene Selbständigkeit entgegen zögern.

Ein Dreimädchenhaus, sozusagen, aber ohne Kitsch und Süssigkeit, im Gegenteil. Das Teenager-Leben ist ohnehin nicht einfach, noch komplizierter aber wird es, wenn man sich alle Grenzen selber setzen muss. Von der Ausgangslage her erinnert der Film ganz leise an Sofia Coppolas The Virgin Suicides, aber das liegt vor allem am Haus voller Mädchen.

„Locarno 11: ABRIR PUERTAS Y VENTANAS von Milagros Mumenthaler“ weiterlesen