Locarno 14: PERFIDIA von Bonifacio Angius

Perfidia 3

Der Titel lässt es schon erahnen: dieser Film ist nicht wirklich fröhlich. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass dieser Film zu den deprimierendsten Werken gehört, die ich bisher im Kino gesehen habe. Vergebens sucht man während der ganzen 103 Minuten einen kleinen Schimmer Aufhellung in diesem düsteren Psychogramm eines jungen sardischen Mannes.

Perfidia ist der zweite lange Spielfilm des sardischen Regisseurs Bonifacio Angius. Gedreht hat er ihn in seiner Heimatstadt Sassari im Norden Sardiniens.

Schon das erste Bild ist bedrückend: ein Auto steht im winterlichen Regen an einer Klippe über dem Meer, vorne offen und leer. Nur auf dem Hintersitz sitzt ein alter Mann, den Kopf (schlafend?) ans Autofenster gelehnt. Im zweiten Bild sieht man Beine und Füsse, die über den nassen Boden geschleift werden.

Perfidia 4

Denkt man bei diesen Bildern (und auch beim Titel Perfidia) noch, man sitze in einem italienischen Thriller, einem Mafiafilm vielleicht, wird man schnell eines Besseren belehrt. Im Zentrum des Films steht der 35jährige Angelo, der noch Zuhause lebt, ohne Arbeit, ohne Freundin, ohne Perspektive. Seine Mutter ist gerade gestorben. Und erst jetzt, als Vater und Sohn alleine sind, merken sie, dass sie sich eigentlich überhaupt nicht kennen. Der Vater Peppino weiss weder, wie alt sein Sohn eigentlich genau ist, noch was er für Interessen hat. Aber jetzt endlich, im Angesicht des eigenen nahenden Endes, beginnt er sich um die Zukunft seines Sohnes zu sorgen, und versucht, Arbeit für ihn zu finden und ihm etwas Eigeninitiative beizubringen. Dieser aber ist resistent und resigniert – und verbringt die Tage im Bett und die Nächte mit seinen ebenso resignierten Freunden in einer trostlosen Vorstadtbar. Und dann erleidet sein Vater einen Schlaganfall. Der einzige, der immer wieder einen Versuch gemacht hat, Angelos Leben endlich anzuschieben, ist sprach- und bewegungslos.

Angius’ Film zeichnet ein unglaublich trostloses Bild der sardischen Stadt Sassari, fern von aller Ferienromantik auf der Insel der smaragdblauen Strände. Sein Sardinien besteht aus winterlich grauer Vorstadt, aus menschenleeren Fabrikarealen und abweisenden Küstenstreifen. Nur einmal nimmt der Film fahrt auf, wird schön, bunt und schon fast etwas fröhlich: denn Angelo hat sich tatsächlich eine junge Frau angelacht, geht mit ihr aus, auf den Rummelplatz, fährt Karussell und erspielt für sie einen Stoffelefanten. Aber dieses Glück dauert nur einen Abend, denn der komplett lebensfremde Angelo verspielt natürlich auch diese Chance, wie er auch jeden Job immer wieder verspielt.

Perfidia 5

Manche Fragen lässt der Film offen, ist nicht immer ganz schlüssig. Man versteht zum Beispiel nicht, wie dieser Mann 35 Jahre alt werden konnte und dabei überhaupt gar nichts gelernt und erlebt hat. Ist es ein Kommentar des Regisseurs auf die Statistiken, die besagen, dass in Italien fast 50% der unverheirateten Männer unter 35 noch bei Mamma wohnen?

Man möchte diesen Mann anschreien, schütteln, ihn aus seiner Lethargie holen, man möchte zumindest dieses kleine Kinoglück erleben, wenn sich etwas doch noch zum Guten wendet. Aber Bonifacio Angius verwehrt uns diese Freude, lässt alles immer noch schlimmer werden – perfid. Zu Beginn des Films erzählt Angelo aus dem Off, wie er einmal in einer Kirche Jesus und den Teufel gesehen habe. Der Teufel habe Jesus angeschaut, Jesus aber ihn; als ob er selber der Teufel sei. Als Angelo dann schliesslich doch anfängt, sein Leben selber in die Hand zu nehmen, tut er es nicht mit wachsender Weisheit, sondern mit zunehmender Diabolik.

Perfidia ist eine düstere Allegorie der Einsamkeit und eine grausame Studie über ein Italien am wirtschaftlichen und sozialen Abgrund.

(67. Filmfestival Locarno, Concorso internazionale)

Bonifacio Angius
Bonifacio Angius

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