„Mirr“ heisst offenbar „Feld“ auf Khmer Bunong. Es geht um die Felder, welche kambodschanischen Bauern von grossen Firmen weggenommen werden, um das Ende eines halb-sesshaften Agrarsystems, bei dem die Bauern mal da mal dort ein Feld bewirtschaften konnten. Bis eben, zum Beispiel, riesige Kautschuk-Plantagen das vorher weitgehend frei genutzte Land der Allgemeinheit entrissen.
Auf den ersten Blick ein Film und ein Thema, das wir kennen. Landenteignung bei Ureinwohnern, Elend, Alkoholismus. Den ethnographischen und den anthropologische Zugriff haben wir gesehen, die Aktivisten-Filme, die engagierten, involvierten, anwaltschaftlichen Dokumentarfilme. Aber Mehdi Sahebis Film bringt eine zweite Ebene ins Spiel, die viel stärker wirkt.
Sahebi, Ethnologe, Historiker und Spezialist für visuelle Anthropologie, dreht zwar mit Dorfbewohnern Szenen der Enteignung, der Suche nach neuem Land, der Verelendung und der Wut. Aber er involviert zugleich das ganze Dorf in das Projekt.
Nach den ersten Szenen mit Binchey, der Hauptfigur, einem Familienvater, sehen wir zwei junge Männer einen Fernseher ins Versammlungshaus tragen. Der Dorfälteste hat alle zusammengerufen, um Sahebi und das Filmprojekt vorzustellen. Männer wie Frauen stellen Fragen: Was bringt uns so ein Film über unsere Situation? Wie spielen wir uns selber?
Erste Szenen, mit Binchey und seiner Familie gedreht, überzeugen dann aber die meisten, dass es möglich sei, die Vorgänge der Enteignung und die Folgen filmisch zu rekonstruieren. Und so geht die Arbeit weiter, immer mit dieser zweiten Ebene, den Kommentaren der Dorfbewohner.
Manchmal wirkt das wie ein therapeutischer Workshop, etwa wenn Männer und Frauen den grassierenden Alkoholismus diskutieren und ein Paar die Folgen gleich in einer typischen Situation durchspielt, zum Vergnügen und Erstaunen aller.
Zudem nutzt Sahebi auch kleine Geschenke in der Montage. Eine Szene, in der Binchey mit seiner Tochter an der Hand zum Fluss geht, um zu fischen, funktioniert wie geplant, das Mädchen bittet ihn um Zuckerrohr und fragt, ob sie mit ihm ins Wasser dürfe. Aber kaum erklärt er, da sei es zu tief, sie solle lieber mit der Mutter ins Wasser, dreht sie sich abrupt um und rennt zurück zu der Frau, die etwas weiter hinten den gleichen Weg geht. Die Inszenierung bekommt eine witzige, reale Delle.
Oder Sahebi nimmt die Geschichte auf aus einem der Lieder, die der Dorfälteste singt. Da wird erzählt, wie die Hunde die Teppiche oder Tierhäute mit den Aufzeichnungen des Dorfes zerfetzt und zerkaut hätten. Und wie dann später eine neue Schrift Einzug hielt, mit der jetzt wieder Chronik gemacht werden könnte. Bloss können die meisten der Bauern nicht lesen und schreiben. Was eine der NGOs, die Binchey um Hilfe gegen die Enteignung angeht, ändern möchte. Rechtsbeistand könne er nicht leisten, sagt der Ortsleiter. Aber das Lesen könne er Binchey beibringen – in einer der Spielszenen.
Ganz am Ende sehen wir dann Binchey in einem realen Lesekurs. Und dann noch eine weitere Inszenierung, die wieder Hunde involviert.
Es ist das Spiel mit der Szenenrekreation und ihrer Spiegelung über die Dorfgemeinschaft, welche diesem Film letztlich zu einer Stärke verhelfen, die man nicht erwarten würde. Ist doch unser Empörungspotential meist ziemlich erschöpft. Aber dem eingebauten kritischen Publikum, diesem eigentlichen Medienworkshop im Film, kann man sich nicht entziehen.