Die endlos langen, gemächlichen Filme von Lav Diaz sind zu Festival-Trophäen geworden. Oft lassen sie über Stunden hinweg einen zustand hypnotischer Luzidität entstehen. Ein bewegter Bilderstrom in Schwarzweiss, mit gelegentlicher Erstarrung als magischer Emphase.
Sie vermitteln die oft blutige, wechselvolle Geschichte der Philipinen immer wieder neu, die cinéphilen Festivalgänger, welche sich seit ein paar Jahren immer mal wieder an einem anderen Festival im grossen Ausharren beweisen, haben dabei mehr über das Land und seine Menschen gelernt, als sie freiwillig im Selbststudium hätten zusammen tragen können.
Nun also ein Märchen, ein Singspiel, eine Episode aus jener Zeit, in der Diktator Marcos per Militärgesetz die Bildung paramilitärischer «konterrevolutionärer» Gruppierungen förderte.
Nach ein paar erklärenden Schrifttafeln tauchen wir ein in die 234 Minuten dieses von Liedern angetriebenen Albtraums des institutionalisierten Terrors.
Die neue Miliz in diesem Barrio bedient sich besonders perfider Methoden. Sie arbeiten mit den alten Mythen und dem Aberglauben, der Hexe, der Eule, dem weissen Mann, dem Vampir. Eigene Greueltaten an der Bevölkerung werden diesen Sagenfiguren zugeschrieben, Nachbarn gegeneinander aufgehetzt.
Der Dichter Hugo Haniway wehrt sich mit seiner Lyrik und seinen Liedern, seine Frau Lorena versucht es als Ärztin mit einer Armenklinik. Hugo verzweifelt in ihrer Abwesenheit und ergibt sich dem Alkohol.
Und Lorena wird zuerst von den Milizionären schikaniert und bedroht und schliesslich entführt, vergewaltigt und umgebracht.
Die realen Figuren und die zu Sagengestalten uminterpretierten Menschen singen alle ihre von Lav Diaz komponierten und getexteten Liedpassagen. Dazu gibt es eine Sängerin, die Chor-Funktion hat und meist Haniways Zustand kommentiert.
Das alles ist eher ein Singspiel, auch wenn Diaz offenbar gerne (scherzend?) von einer Rock-Oper spricht. Einzelne Lieder werden wiederholt, andere erzählen die Handlung, wie in einer Oper. Und manchmal bilden alle Protagonisten, die Folterer und die Opfer zusammen den Chor – was in der Reduktion auf mehrstimmiges «La La La» beklemmende Momente erzeugt.
Man muss sich wie immer bei Lav Diaz dem Strom ergeben. Das fällt allerdings paradoxerweise gerade wegen des Singens zunehmend schwerer. Die untertitelten Liedpassagen in Tagalog nehmen einen eben nicht einfach mit, wie das mit Gesang in unserer eigenen Sprache passieren könnte. Sie werden zum Teil sogar richtig anstrengend in der Wiederholung, denn die Untertitel bleiben ja und gewichten alles anders.
Den Effekt kennen wir aus Bollywood-Filmen, wo einem die gut gemeinte Verständnishilfe im schlimmsten Fall daran hindert, in die musikalische Trance des Gemeinschaftserlebnisses abzutauchen.
Aber es liegt wohl nicht nur daran, dass diese 234 Minuten zäher wirken als frühere Lav Diaz Filme. Der Horror des Erzählten und die Stilisierung zum Singspiel können kippen. Am deutlichsten wird das in der Vergewaltigungszene, die opernbühnenmässig stilisiert inszeniert ist, begleitet vom gemeinsamen Absingen eines «Blues» von Opfer und Tätern.
Verblüffenderweise ist es für einmal die Erzählweise, die exotisch bleibt, während der erzählte Horror, der Terror der Miliz nur allzu bekannt wirkt. Die Mechanismen von Lüge und Verleumdung, blanker Gewalt und Terror-Propaganda kennen wir aus unzähligen Filmen und historischer Erfahrung.
Lav Diaz‘ Filme werden immer wieder als «Aufarbeitung» des kollektiven Traumas eines Landes bezeichnet und damit liegt man wohl nicht völlig falsch. Aber die Pauschalisierung macht die Filme auch fast schon unberührbar, Diaz‘ Status als Festivalstar, dessen Marathon-Werke jeder Veranstalter einmal auf der Karte haben möchte, hilft dabei auch nicht.
Eigentlich müsste man sich gerade für die Filme von Lav Diaz eine Diät vornehmen, sie nicht mit Dutzenden von anderen Festivalfilmen zusammenwürfeln. Aber wie es scheint, ist fast nur noch das Festivalpublikum in seinem definierten Ausnahmezustand offen genug dafür.