VERDENS VERSTE MENNESKE (The World’s Worst Person) von Joachim Trier

Julie (Renate Reinsve) Aksel (Anders Danielsen Lie) © Oslo Pictures

Während sich der englischsprachige Louder than Bombs des Drehbuchduos Joachim Trier/Eskil Vogt 2015 multiperspektivisch um eine ge- oder zerstörte Familie drehte, konzentriert sich dieser jüngste, in Oslo spielende Effort um eine einzige junge Frau.

Julie (Renate Reinsve) in zwölf Kapiteln, einem Pro- und einem Epilog kündet der Titel an und suggeriert, dass diese Julie allenfalls dieser schlechteste Mensch der Welt sein könnte.

Der Satz fällt schliesslich auch in einem der Kapitel. Ohne Eindeutigkeit. Aber Julies Selbsteinschätzung und der Blick der anderen auf sie verändern sich ohnehin dauernd.

Zunächst lernen wir eine fleissige, unzufriedene Medizinstudentin kennen, die auf Psychologie umsattelt, um dann doch lieber Fotografin werden zu wollen und erst mal provisorisch im Buchladen der Universität zu jobben beginnt.

Julie (Renate Reinsve) © Oslo Pictures

«Ich kann nichts wirklich durchziehen» ist einer von Julies Stossseufzern. Ihr rund zehn Jahre älterer erster Lebenspartner, ein Underground-Comic-Zeichner, der mit einer norwegischen Version von «Fritz the Cat» bekannt und beliebt geworden ist, will die Beziehung schon nach dem ersten Sex beenden: «Der Altersunterschied würde nur zu Problemen führen, ich bin in einer gesetzten Lebensphase, während du noch auf der Suche bist».

Rückblickend wird Julie dann sagen, das sei genau der Moment gewesen, in dem sie sich in ihn verliebt habe.

Überhaupt diese Kommentare: Eines der komischen Stilmittel dieses Films ist ein Voiceover, das hin und wieder wörtlich vorwegnimmt, was die Protagonisten gleich sagen werden. Eine mild ätzende Verdoppelung mehr oder weniger banaler Feststellungen, die doch nicht ohne Gewicht bleiben.

Das ist ein charmanter Film, in dem wir einer jungen Frau beim Erwachsenwerden zuschauen, mit vielen Wiedererkennungsmomenten und genügend Drive, um dranzubleiben.

Wenn eine der älteren Verwandten ihres Lebensabschnittspartners bei einem Familienfest von Julie wissen möchte, was sie denn vorhabe mit ihrem Leben oder ihrem Studium, erklärt deren Mann, zu seiner Zeit habe diese Frage noch als vulgär gegolten in Studentenkreisen. Worauf seine Frau zustimmt und darauf beharrt, dass alles viel härter geworden sei für die Jungen.

Eivind (Herbert Nordrum) und Julie (Renate Reinsve) © Oslo Pictures

Diese zwölf Kapitel um Julie und ihre Selbstfindungskrämpfe kommen einem als Mitteleuropäer häufig gerade bekannt genug vor, dass man innerlich zu nicken beginnt. Und dann doch wieder frisch genug, dass man sich auf sein eigenens Alter besinnt – was auch einzelne der Figuren um Julie tun.

Etwa der lange gefeierte Comiczeichner, der plötzlich für den Sexismus in seinen Underground-Comics angegriffen wird, von jüngeren Frauen, die nicht die geringste Lust bekunden, die früheren Gewohnheiten und Sitten einer anderen Zeit als mildernde Umstände oder gar Verständnishilfe zu akzeptieren. Der noch eben gefeierte Anti-Establishment-Grunger ist plötzlich zum alten weissen Mann geworden, ohne zu wissen, wie ihm geschieht.

Das sind zwei unterhaltsame, zuweilen berührende Kinostunden, ein Film, der vielleicht einmal stellvertretend für unsere Gegenwart seinen Zeitwert beweisen kann.

Ob die Hauptfigur Julie als zeitgenössische Verwandte von Strindbergs tragischer Bühnenfigur gemeint ist, oder nur zufällig so heisst, tut dabei wenig zur Sache. Dieser Julie liegen nicht die alten Klassenschranken im Weg, sondern die unendlichen Wahlmöglichkeiten und deren meist nicht allzu aussichtsreiche Zukunft.

Ein solches Dilemma um Julie und ihre Beziehungen ist die grosse Frage, ob Kinder zu haben eine gute Sache wäre, oder eher nicht, angesichts des Zustands der Welt. Der Film bleibt da auch zum Schluss konsequent und wohltuend ambivalent.

Kommentar verfassen