LE FILM DE MON PÈRE von Jules Guarneri

Le père in ‚Le film de mon père‘ © Intermezzo Films

Allein aus der Schweiz sind in diesem Jahr mindestens drei explizite «Vaterfilme» im Programm der Visions du réel. Der ungewöhnlichste ist auf jeden Fall der von Jules Guarneri.

Denn, wie der Titel es schon postuliert: Das ist zuerst einmal nicht ein Dokumentarfilm über den Vater, sondern ein Film des Vaters.

Zumindest als Projekt. Die Familienkonstellation der Guarneris ist sehr speziell: Jules ist mit seinen beiden älteren Adoptivgeschwistern in einem luxuriösen Chalet in Villars aufgewachsen, die Eltern haben nie gearbeitet, man lebte vom geerbten Geld der Mutter.

Die Mutter starb, als Jules zwanzig Jahre alt war, als dominante Präsenz ist sie noch immer überall im Chalet vertreten, auf den grossformatigen Fotografien des Vaters, der seine barbusige grosse Liebe überall an der Wand hängen hat. Als Präsenz, von der der Vater sagt, sie schaue ihm dauern über die Schulter, mal missbilligend, mal unterstützend.

Der Film des jungen Guarneri fängt beginnt mit Aufnahmen, die der Vater von sich selbst gemacht hat, zuhanden des Sohnes. Direkt in die Kamera hinein fordert der Vater den Sohn auf, endlich einen eigenen Film zu machen, über ihn, den Vater. Denn sonst würde er, wie seine Geschwister, nie aus der Abhängigkeit vom Vater und dem Familienvermögen wegkommen.

Das erinnert ein wenig an die Herausforderungen, The Five Obstacles, mit denen Lars von Trier seinen depressiven Freund und Mentor Jørgen Leth 2003 ins Filmerleben zurück holen wollte. Allerdings ist der Ansatz von Papa Guarneri nicht nur garniert mit einigem Narzissmus, sondern auch pädagogisch auf einem zweifelhaften Level.

Das Wunder dieses Films – und damit das grosse Vergnügen – ist, dass es funktioniert. Es dauert zwar, weil der Sohn sich in ewigen Schleifen seinen Geschwistern und sich selbst annähert und dabei, paradoxerweise, eine Distanz zum Vater und zu sich selber findet.

Aber es funktioniert wohl auch, weil Jules einen Produzenten ausserhalb der Familienkonstellation hat, und Freunde (auch wenn die alle nie ins Bild kommen).

Im Kino erlebt man also einen kommentierten Emanzipationsprozess, in dem sich die solipsistisch in die Kamera gesprochenen Überlegungen und Anforderungen des Vaters mit dem selbstironischen Kommentar des Sohnes duelliert, während auf der Bildebene die Aufnahmen des Sohnes mit jenen des Vaters in Kontrast treten.

Le film de mon père ist ein Glücksfall. Weil die krude Idee des Vaters unerwartet aufgeht. Weil der Sohn sich darauf einlässt, ohne einfach zu gehorchen. Weil wir als Zuschauerinnen und Zuschauer eine überaus exotische Familienkonstellation erleben, die fast schon parodistisch das klassische grossbürgerliche Drama der von materiellen Sorgen befreiten Dichter und Denkerinnen spiegelt.

Wenn der Vater von sich selber sagt, er sei leider völlig unbegabt, wirkt das wie Koketterie, ist aber wohl die tragische Wahrheit seiner Existenz, mit der er zu leben gelernt hat – und etwas, das er seinem Sohn ersparen möchte.

Das Erfolgserlebnis für beide, und damit auch für das Publikum, ist der fertige Film.

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