FALLEN LEAVES (Kuolleet lehdet) von Aki Kaurismäki

Alma Pöysti, Jussi Vatanen © filmcoopi

Der Applaus nach der ersten Vorführung von Aki Kaurismäkis jüngstem Film war warm, erleichtert, zufrieden, mit einem Hauch glücklich drin.

Dabei hat man es schon zuvor geahnt. Ein Blick auf die Fotos im Vorfeld hat genügt: Er ist wieder da, wir sind zuhause.

Ein einsamer Mann trifft in Helsinki auf eine einsame Frau und die beiden finden wortlos Gefallen aneinander. Er ist Sandstrahler in einem Gusswerk, Alkoholiker und Lakoniker, eine klassische Kaurismäki-Figur.

Sie arbeitet zu Beginn in einem grossen Lebensmittelladen, nimmt abgelaufenes Essen mit und wird darum entlassen, begleitet von gleich zwei Kolleginnen, die solidarisch mit ihr gehen. Kaurismäki-Frauen.

Es gibt ja Leute, sogar solche, die Finnland kennen, welche behaupten, Kaurismäkis Filme seien eigentlich Dokumentarfilme, einfach mit Spurenelementen kunstvoller Hoffnung.

Stimmt schon: Auch die traurigsten Kaurismäki-Filme haben uns immer irgendwie glücklich gemacht. Wie die finnischen Jukebox-Schlager und Karaokelieder, die auch dieses Mal wieder ihren Anteil haben an der Stimmung des Films.

Diese gefallenen Blätter, diese zwei Menschen, die zueinander möchten, daran aber die längste Zeit vom Schicksal gehindert werden – sie will ihm ihren Namen erst beim zweiten Treffen verraten, er verliert den Zettel mit ihrer Telefonnummer – diese zwei einsamen Menschen schliesst man sofort ins Herz.

Jussi Vatanen, Alma Pöysti © filmcoopi

Ebenso wie die kleine Hündin, welche die Frau schliesslich rettet, als sie den Mann wegen seines Alkoholkonsums erst mal wieder weggeschickt hat; und den zweiten Teller, samt Besteck, eben für das erste gemeinsame Abendessen gekauft, in den Abfallkübel geworfen.

Alma Pöysti © filmcoopi

Die Magie des Kinos ist allgegenwärtig in diesem Film. Filmplakate, ziemlich sicher aus Kaurismäki-Beständen, zieren alle möglichen Wände. Beim ersten gemeinsamen Ausgang schauen sich die beiden Jim Jarmuschs Zombie-Komödie The Dead don’t Die (Cannes 2019) an und sie versichert danach, der Film habe ihr gefallen, die Polizisten hätten einfach keine Chance gehabt, «zuviele Zombies».

Ein anderer Besucher erklärt seinem Freund beim Rausgehen, der Film habe ihn an Bresson erinnert. Das Lachen im Kinosaal in Cannes kommt aus tiefstem Herzen.

Weil er keinen Namen und keine Nummer von der Frau hat, wartet er immer wieder vor dem Kino. Sie kommt vorbei, kurz nachdem die Leuchtschrift ausgeschaltet wurde und der Mann aufgegeben hat, und sieht den Haufen Zigarettenstummel, den er hinterlassen hat.

© filmcoopi 

Fallen Leaves ist die Quintessenz von Kaurismäkis lakonischer Kunst, mit urkomischen Kurzdialogen, kleinen Kalauern, sozialem Realismus in surreal schöner Farbgebung und reduzierter Alltagsmelodramatik, unter Betonung des Melo und bloss angetupftem Drama.

Als habe der alte Baum Kaurismäki noch einmal ein paar besonders schöne Blätter fallen lassen, in seinem eigenen Herbst.

Der Film wirkt wie ein liebenswerter Abschied.

Dabei ist der Mann erst 66.

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