NIFFF 13: It’s alive! – Die Preise

Nicht meine erste Wahl: Hauptpreis für 'Dark Touch' von Marina de Van
Nicht meine erste Wahl: Hauptpreis für ‚Dark Touch‘ von Marina de Van

Die Preise sind vergeben – nicht alle so, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber wir gratulieren Marina de Van für den Hauptpreis für Dark Touch. (Die weiteren Preise folgen am Ende dieses Beitrags).

An der elften Ausgabe des NIFFF, des «Neuchâtel International Fantastic Film Festival», traf einmal mehr das einschlägige Publikum auf einheimische Schlachtenbummler, neue Genre-Stars und alte Haudegen des fantasievollen Kinos. Ein Rückblick.

«It’s alive!» möchte man gerne mit Viktor Frankenstein ausrufen, der zusieht, wie seine Kreatur dank der Energie eines Blitzes zum Leben erwacht. Aber der Vergleich hinkt: Das NIFFF, das «Neuchâtel International Fantastic Film Festival» ist nicht aus Leichenteilen zusammengebaut, auch wenn das ängstliche Menschen, die noch nie da waren, immer wieder glauben.

Das NIFFF ist mit seinen Genrekino-Schwerpunkten (Fantastisches Kino, Filme aus Asien und «Future Images») tatsächlich ein Nischenfestival. Aber den Nischenfestivals gehört die Zukunft, während das klassische Kino im Mainstream-Bombast verkümmert.

Das hat sich in den letzten sieben Tagen am Neuenburgersee erneut gezeigt: Das Publikum aus der Westschweiz strömt ans NIFFF. Und: Auch die Deutschschweizer kommen, obwohl die Medien das Festival nach wie vor eher stiefmütterlich behandeln. Das hat damit zu tun, dass die Freundinnen und Freunde des Fantastischen Films (und des Horrorfilms) ohnehin überall so etwas wie Stämme bilden. Man ist unter sich, man muss sich nicht erklären oder gar rechtfertigen.

Feiern im Jardin Anglais © NIFFF (David Rossetti)
Feiern im Jardin Anglais © NIFFF (David Rossetti)

Wenn in einem der fünf NIFFF-Kinosäle das Licht ausgeht und die Sponsoren-Trailer auf die Leinwand kommen, dann geht die Party meist schon los. Insbesondere der grottenschlechte, aber heissgeliebte «Film de minuit»-Trailer des Westschweizer Fernsehens, mit seinen tanzenden Billig-CGI-Skeletten, animiert den Saal regelmässig zum chorartigen Mitsprechen und vor allem Mitlachen: «Muahhaahahaaah».

Larry Cohen © NIFFF (Giona Mottura)
Larry Cohen © NIFFF (Giona Mottura)

Dieses Gemeinschaftsgefühl, dass sich im Publikum einstellt (und das jedes Publikum weltweit immer stärker zu suchen scheint, je individuell verfügbarer die Produkte der Unterhaltungsindustrie werden), das kennen auch die Filmemacher. Am NIFFF treffen sich die mal hochgejubelten, mal verdient gefeierten Grössen vergangener Genre-Hochzeiten und ihre Nachfolger. Dieses Jahr zum Beispiel die New Yorker B-Picture-Legende Larry Cohen oder der deutsche Filmemacher Roland Klick, die den Austausch mit Fans und jungen Filmemachern sichtlich geniessen.

Darstellerin Jasna Kohoutova und Regisseur Olivier Beguin ('Chimères') © NIFFF (Fred Ambroisine)
Darstellerin Jasna Kohoutova und Regisseur Olivier Beguin (‚Chimères‘) © NIFFF (Fred Ambroisine)

Die Filmemacher unter sich geniessen es, unter Kennern zu sein und sich nicht dauernd für ihre Genre-Vorlieben rechtfertigen zu müssen. Der Neuenburger Olivier Beguin, der mit seinem wunderbaren modernen Vampir-Film Chimères im Wettbewerb eine ausgesprochen gute Figur machte, freute sich über den Austausch mit seinem in Berlin lebenden Deutschweizer Kollegen Mathieu Seiler. Seilers in Deutschland bereits zu Recht gefeierter traumwandlerisch poetischer Film Der Ausflug ist eine ebenso witzige wie abgründige Variation auf das Werwolf-Thema und seine Geschlechterfixierung. Sie ist eher ruhig,schön und komisch-lyrisch angelegt als blutig, während Olivier Beguin mit dem letzten Drittel von Chimères die Freunde einschlägiger Kost ausgesprochen auf Kosten kommen lässt.

Matthieu Seiler ('Der Ausflug') und Georges Wyrsch © NIFFF (Joëlle Neuenschwander)
Matthieu Seiler (‚Der Ausflug‘) und Georges Wyrsch © NIFFF (Joëlle Neuenschwander)

Der diesjährige Wettbewerb hat einmal mehr gezeigt, wie lebendig und vielfältig das fantastische Kino ist. Es sind ja gerade die Genre-Regeln, die Mythen, Vorgaben, Themen, welche es den Filmemachern erlauben, in alle Richtungen vorzustossen. Wenn der Amerikaner Jim Mickle mit We are what we are einen modernen mexikanischen Kannibalismus-Film von der ursprünglichen Prekariats-Parabel in eine us-amerikanische religiös-fundamentalistische Satire umbaut, dann ist das mehr als verblüffend. Zumal dabei ein Film entstanden ist, der eher an das Sozialdrama Winter’s Bone erinnert, denn an einen Genre-Film über einen menschenfressenden Familienclan.

Der Kanadier Vinzenco Natali (Cube) zeigt mit Haunter, seiner Version des klassischen Geisterhaus-Films, dass auch neue Spielarten möglich sind, ohne dass auf die postmoderne Ironisierung zurückgegriffen werden muss.

Überhaupt ist die Tendenz zu beobachten, dass sich das Genrekino nach Jahren der Selbstparodierung von Scream bis I know what you did last Summer oder gar Mainstream-Versoftung via Twilight und Konsorten wieder stärker auf seine Grundlagen besinnt. Viele der jüngeren Filmemacher probieren lieber die Kombination von realistischer Alltagszeichnung mit Elementen des klassischen Horrors.

Das kann dann allerdings auch schief gehen, wie zum Beispiel bei Raze vom amerikanischen Ex-Marine Josh C. Waller. Der hat versucht, eines der klassischen Exploitation («Ausbeuter»)-Genres, nämlich den WIP (Women in Prison)-Film auf seine Essenz zu reduzieren. Das heisst, er hat fast alle kommerziellen Standard-Elemente wie nackte Haut, sexuelle Gewalt oder pseudo-lesbische Szenen entfernt und den Film auf eine reine Abfolge brutalster Frauenzweikämpfe auf Leben und Tod reduziert.

Zoe Bell in 'Raze' von Josh C. Waller
Zoe Bell in ‚Raze‘ von Josh C. Waller

Mit Zoe Bell, der australischen Stuntfrau, die mit Quentin Tarantinos Death Proof bekannt wurde, hat er eine Protagonistin, welche kämpferisch absolut zu überzeugen vermag und auch schauspielerisch nicht enttäuscht. Aber die Reduktion des Exploitation-Cinemas auf seine brutale Kernkompetenz führt nirgendwo hin. «Raze» ist filmischer Selbstzweck, ein wahrhaftes «Dead End» und eine sinnlos unangenehme Kinoerfahrung.

Doch grundsätzlich funktioniert die Mischung des NIFFF perfekt. Die aktuellen Filme aus Asien, wie etwa der südkoreanische Spionagethriller The Berlin File von Ryoo Seung-Wan sind nicht nur spektakulär und temporeich, sondern auch im global-politischen Kontext durchaus nicht ohne Interesse. So ist zum Beispiel der zentrale Held von The Berlin File (der vollständig in Berlin spielt) ein nordkoreanischer Agent. Dass dann am Schluss des Films dank einiger ziemlich irrer Twists die zentrale Perspektive doch jene Südkoreas ist, braucht einen nicht zu erstaunen, der fintenreiche und anspielungsreiche Clou des Films dagegen schon.

Zusammen mit den Teil-Retrospektiven der Filme von Roland Klick und Larry Cohen, und Spezialreihen mit Masterclasses zu Soundracks bot diese elfte Ausgabe des NIFFF einen runden Blick bis an die diversen Ränder des zeitgenössischen Filmschaffens. Und mit Rändern sind hier nicht nur die Grenzbereiche gemeint, sondern auch und vor allem die Schnittmengen. Musik und Tongestaltung, aber auch die Computertechniken und Tricks, welche die Tagung «Imaging the Future» mit Gamedesign und überhaupt den hybriden Technologien verbinden, gehören zu jenen Gebieten, die nicht nur das Genrekino mit der Kunstszene fusionieren, sondern mehr denn je schlicht alles im Alltag: Jedes audiovisuelle Produkt ist mittlerweile ein Interface, eine Schnittstelle zwischen Anwender und Programm, ein Portal zu einem System.

Kino Bio © NIFFF (Giona Mottura)
Kino Bio © NIFFF (Giona Mottura)

Das NIFFF macht diese Vorstellung nicht nur erträglich, sondern oft auch wirklich vergnüglich. Weil die Fantasie nicht nur das verbindende Element darstellt, sondern auch das Herz der Veranstaltung.

PREISTRÄGER NIFFF 2013

INTERNATIONALE JURY

François Cognard – Jurypräsident – Produzent, FR
Frederike Dellert – Programmverantwortliche Fantasy Filmfest, DE
Kim Newman – Filmkritiker und Schriftsteller, UK
Orson Scott Card – Schriftsteller, US
Jean-François Rauger – Programmverantwortlicher der Cinémathèque française, FR

Prix H.R. Giger „Narcisse“ für den besten Film (Internationaler Wettbewerb) 10’000 CHF

DARK TOUCH von Marina de Van, FR/IR/SE

Urteil der Jury: „Der Internationalen Jury gefiel die originelle Kombination zweier Genres: des Horrorfilms und der moralischen Geschichte. Die Filmemacherin nutzt erfolgreich das Übernatürliche, um eine Wahrheit darzustellen und einen unsichtbaren Aspekt der Realität einzufangen.“

Spezielle Erwähnung der INTERNATIONALEN JURY

CHIMÈRES von Olivier Beguin, CH

MELIES JURY

Pilar Anguita-MacKay – Drehbuchautorin, CH
Anita Egger – Journalistin, CH
Yamine Guettari – Journalist, CH

Silberner Méliès für den besten europäischen Spielfilm NOMINIERUNG

AU NOM DU FILS von Vincent Lannoo, BE/FR

Der Film ist hiermit nominiert für den Goldenen Méliès, der anlässlich der 46. Ausgabe des Festival Internacional de Cinema Fantàstic de Catalunya in Sitges im Oktober 2013 verliehen wird.

IMAGING THE FUTURE JURY

Scott Ross – Digital Media Executive, US
Laurent Brett – Designer für Titelsequenzen, FR
Pascal Montjovent – Chef opérateur, CH

Prix Imaging The Future für das beste Production Design (Internationaler Wettbewerb) 5’000 CHF

GHOST GRADUATION von Javier Ruiz Caldera, SP

Spezielle Erwähnung der IMAGING THE FUTURE JURY

MARS ET AVRIL von Martin Villeneuve, CA

JURY DES GYMNASIUMS DENIS-DE-ROUGEMONT

Emilie Pellissier, Loïc Hobi, Fabrice Graber, Alessio Comi

Jugendpreis Denis-De-Rougemont (Internationaler Wettbewerb) Eine Uhr

DARK TOUCH von Marina de Van, FR/IR/SE

JURY DES GYMNASIUMS BLAISE CENDRARS

Cassandra Jennings, Cynthia Bilat, Amanda Jennings

Jugendpreis Blaise Cendrars (Internationaler Wettbewerb) EHRENPREIS

THE CRACK von Alfonso Acosta, CO/AR

MAD JURY

Julien Sévéon – Journalist, Mad Movies, FR
Alexandre Poncet – Journalist, Mad Movies, FR
Miranda Larrosa – Leserin Mad Movies, CH

Prix Mad Movies für den „Maddest Film“ (Internationaler & Asiatischer Wettbewerb) PROMOTION

DARK TOUCH von Marina de Van, FR/IR/SE

Spezielle Erwähnung der MAD MOVIES JURY

EEGA von S.S Rajamouli und J.V.V Sathyanarayana, Indien

VOM PUBLIKUM VERLIEHENE PREISE:

Preis für den besten asiatischen Film (Asiatischer Wettbewerb) EHRENPREIS

EEGA von S.S Rajamouli und J.V.V Sathyanarayana, Indien

Publikumspreis der RTS (Internationaler & Asiatischer Wettbewerb) AUSSTRAHLUNG

YOU’RE NEXT von Adam Wingard, USA

PRIX TITRA FILM (Internationaler & Asiatischer Wettbewerb) BON: 1000 CHF

THE DYATLOV PASS INCIDENT von Renny Harlin, USA/RU/UK

JURY SSA/SUISSIMAGE

Carola Stern – Delegierte SSA und Suissimage, CH
John Canciani – Künstlerischer Leiter Int. Kurzfilmtage Winterthur, CH
Pierre Monnard – Regisseur, CH

Prix H.R. Giger „Narcisse“ für den besten Schweizer Kurzfilm (Schweizer Kurzfilmwettbewerb) 10’000 CHF

PALIM PALIM von Marina Klauser und Pia Hellenthal, CH

Spezielle Erwähnung der JURY SSA/SUISSIMAGE

POCKET ROCKET von W. Feistle

Prix Taurus Studio für den besten Film (Schweizer Kurzfilmwettbewerb) BON: 3000 CHF

PALIM PALIM von Marina Klauser und Pia Hellenthal, CH

Prix Taurus Studio für Innovation (Schweizer Kurzfilmwettbewerb) BON: 3000 CHF

EFFORT von Eleonora Berra, CH

Silberner Méliès für den besten europäischen Kurzfilm (Schweizer Kurzfilmwettbewerb) NOMINIERUNG

ENTRE ANGE ET DEMON von Pascal Forney, CH

Der Film ist hiermit nominiert für den Goldenen Méliès, der anlässlich der 46. Ausgabe des Festival Internacional de Cinema Fantàstic de Catalunya in Sitges im Oktober 2013 verliehen wird.

Die Gewinnerin 2013: Marina De Van für 'Dark Touch' © NIFFF (Fred Ambroisine)

Eine Antwort auf „NIFFF 13: It’s alive! – Die Preise“

  1. Ich finde es gut, das mehr Leute zu diesen Veranstaltungen gehen, das könnte den großenn Produzenten zeigen, dass die Innovation und die Selle eines Films vor dem Bombast kommen.

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