SFT 15: DRIFTEN von Karim Patwa

Max Hubacher und Sabine Timoteo in 'Driften' © Vinca Film
Max Hubacher und Sabine Timoteo in ‚Driften‘ © Vinca Film

Wenn Robert auf 200 km/h beschleunigt, dann fühlt er sich wie auf Wolken: So beschreibt er seine Gefühle beim Rasen seinem neuen Arbeitskollegen Sandro bei einer Spritztour.

Driften von Karim Patwa ist eine wunderbare Überraschung an den Solothurner Filmtagen. Ein Erstlingsfilm im Wettbewerb um den Prix Soleure, über den hier im Vorfeld wenig gesprochen wurde, andere Premieren waren lauter. Aber das macht die Filmtage so spannend: Plötzlich tauchen neue Namen auf, Filmemacher, die mit kraftvollen Erstlingen auf sich aufmerksam machen.

Um Karim Patwa einen «Jungfilmer» zu nennen, muss man den Begriff «jung» etwas dehnen, der Regisseur mit Schweizer Mutter und indischem Vater ist 47. Er dreht zwar seit fast 20 Jahren Filme, Driften aber ist sein erster langer Kinospielfilm. In Saarbrücken hat er ausgerechnet heute, am Abend der Solothurn-Premiere, gleich drei Preise bekommen. Einen davon für das Drehbuch, das Karim Patwa zusammen mit Michael Pröhl geschrieben hat. Und das hat es in sich:

Max Hubacher in 'Driften' © Vinca Film
Max Hubacher © Vinca Film

Die Geschichte dreht sich um den jungen Mann Robert, der soeben nach vier Jahren aus dem Gefängnis kommt. Bei einem Raserrennen hat er ein kleines Mädchen tot gefahren. Kurz nach seiner Rückkehr entdeckt er im Tram eine Frau, vermutlich etwa zehn Jahre älter als er, und entwickelt eine zunächst unverständliche Faszination für sie, will sie kennen lernen. Schnell ahnt man, wer diese Frau namens Alice ist, spätestens als sich Robert ihr mit falschem Namen vorstellt. Es beginnt eine freundschaftliche Annäherung, der man mit zunehmendem Unbehagen zuschaut.

Sabine Timoteo und Max Hubacher in 'Driften' © Vinca Film
Sabine Timoteo und Max Hubacher in ‚Driften‘ © Vinca Film

Daneben versucht Robert, im Leben wieder Fuss zu fassen, er beginnt einen neuen Job, nähert sich seiner Freundin wieder an und sucht Kontakt zu seiner alten Clique.
Karim Patwa versteht es meisterlich, auf der Klaviatur der Dramatik zu spielen: Der Film geht tief, vergisst aber nie den Humor – und überrascht mit charmanten Einfällen.

Dann wieder wird er zum hochspannenden Action-Movie, wenn Robert trotz seines Vorsatzes, nicht mehr zu rasen, mit seinem Arbeitskollegen zum «Driften» fährt. Die Wolken, von denen er spricht, verwandeln sich im Magen der Zuschauer zu Klumpen.

Aber Patwa tappt nicht in die Falle, aus seiner grossartigen Geschichte einen Adrenalin-Thriller zu drehen. Der Fokus liegt anderswo und das macht diesen Film so besonders: Primär ist Driften das Psychogramm zweier Menschen, die tragischer nicht miteinander verbunden sein könnten.

'Driften' © Vinca Film
‚Driften‘ © Vinca Film

Ohne Schauspieler, die das vermitteln können, die mal sympathisch, mal völlig verloren wirken, wäre dieser Film nicht, was er ist. Verdingbub Max Hubacher ist Robert – mit unglaublicher Intensität spielt er den jungen Mann, der versucht, sich den Geistern seines bösen Schicksals zu stellen. Neben ihm ebenso intensiv Sabine Timoteo als Alice, die Mutter, die ihr Kind verloren hat. Unter der höflich netten Oberfläche der Englischlehrerin blitzt immer wieder die Trauer, Verbitterung und Wut über den Verlust des Kindes durch.

Max Hubacher und Sabine Timoteo in 'Driften' © Vinca Film
Max Hubacher, Sabine Timoteo: ‚Driften‘ © Vinca Film

Formal kann der Film durchwegs mit der guten Geschichte und dem grossartigen Schauspiel mithalten. Wunderbare Kameraeinfälle und ein toller Schnitt runden diesen Film ab. So richtig gut geht’s einem nicht danach. Da ist zwar zum einen das gute Gefühl, das man immer hat, wenn man wieder mal einen richtig guten Film gesehen hat. Aber da ist auch ein Unbehagen, das so schnell nicht vergeht. Und auch das spricht für die Kraft dieses Films.

Kommentar verfassen