Das ist mit ziemlicher Sicherheit derjenige Film mit der grössten Wörterdichte im diesjährigen Wettbewerb von Locarno. Schon die zwei jungen Männer, die sich für ein paar Tage in eine Familienpension einmieten, sondern abwechselnd poetische und flappsige Sentenzen ab.
Ganz zu Schweigen von der Pensionsfamilie, bestehend aus der von Sabine Azéma gespielten Madame Woytis, ihrem Mann Leon (der stets umwerfende Jean-François Balmer) und ihren beiden Töchtern.
Zunächst wirkt der auf französisch gedrehte Film des polnischen Altmeisters Zulawski wie eine Parodie auf das leichtfüssige Quasselkino von Eric Rohmer, jene Filme, in denen pausenlos räsoniert, geflirtet und poetisiert wird. Und dann geht das auch noch über in eine Variation auf Shakespeares Sommernachtstraum. Mit einem erhängten Spatz am Waldrand fängt es an, dann muss die Familienkatze dran glauben, weil sich einer der jungen Männer in die frisch verheiratete Tochter des Hauses verliebt. Und bald steht die Frage im Raum, ob es noch weitere Opfer geben wird.
Andrei Zulawski, der in den frühen achtziger Jahren mit Filmen wie Possession (1981) mit Isabelle Adjani oder La Femme publique mit Valéry Kapriskie (1984) provozierte, brennt hier mit seinen 75 Jahren ein Feuerwerk ab, das zugleich ernsthaft, poetisch, parodistisch, gargantuesk und absurd wirkt. Als habe er die ganze unterm Bildungsbürgertum erstarrte literarische Energie der einstigen «auteurs» in Frankreich auf einmal zum Explodieren bringen wollen.
Der Film erinnert nicht nur an Rohmer, sondern in seiner Konzentration auf den engen Familienkreis auch an Chabrol. Und mit einem Hauptdarsteller, der aussieht wie der junge Vincent Cassel mit dem Gehabe eines Louis Garrel, und der zugleich einen dermassen klingenden Namen trägt wie Jonathan Genet, kann man wohl nur die Vorwärtsstrategie des parodistischen Impetus wählen.
Dass sich die Poesie der französischen Sprache dann doch oder erst recht entfaltet, liegt ebenfalls genau daran: Alles ist so sehr übertrieben, dass es zunächst erkennbar wird, und dann heimtückisch seine originale Wirkung entfaltet.
Die 103 Minuten sind absolut hinreissend, wenn man das Ohr dafür hat. Und eben so anstrengend.