Duisburg 15: PROCEDERE von Simon Quack

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«Nehmt dem Mann das Zoom weg», schimpft die Kollegin im Kinositz neben mir leise. Eben hat das ohnehin für die Kinoleinwand viel zu grobkörnige Bild zum dritten Mal auf die grosse Dachkrone auf der Kuppel des Deutschen Bundesgerichsthofes gezoomt.

Und danach mehrfach auf den stilisierten Adler am Eingang und auf den Schriftzug BUNDESGERICHTSHOF. Zu dem Zeitpunkt haben wir noch nicht begriffen, was uns Simon Quack da vorgesetzt hat:

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Es sind Aufnahmen aus dem Archiv der Fernsehredaktion «Recht und Justiz» in Karlsruhe. Die immer gleichen Einstellungen, die der Kameramann gleich nach der Anfahrt zum Gerichtsgebäude schon mal auf Vorrat dreht. Denn Bilder müssen sein.

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Es folgen weitere Aussenaufnahmen, in einer geht auf Kommando das Licht an. Später werden wir uns daran erinnern, wenn es in einem Fall um Energierecht recht. Aber alles in allem ist dies Bildmaterial, das jeden Tagesschaubericht zu jedem Gerichtsurteil illustrieren könnte. Es sind die Bilder, welche verorten, ganz wörtlich. Und dazu kommen die Bilder, welche die übrigen Vorgänge illustrieren. Etwa die sich schliessende Tür, welche der Kameramann sieht, nachdem er vor Verhandlungsbeginn den Gerichtssaal verlassen musste.

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Die Verhandlungen sind zwar in der Regel öffentlich, aber gefilmt werden dürfen sie nicht. Also braucht der Gerichtsreporter Bilder, die er seinem Text und seinen Erläuterungen unterlegen kann. Eine Einstellung auf ein Strafgesetzbuch auf dem Richterpult. Oder auf ein einschlägiges Standardwerk. Oder ein Aktenbündel. Immer wieder auf ein Aktenbündel.

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Die Serialisierung jeglicher Einstellungen wirkt komisch, fast immer. Und was da wie schlampiges Handwerk eines Kameramannes wirkt, der kleine Schlenker zu Beginn einer Aufnahme, der überschnelle Schwenk an den Richtern vorbei, das sind die üblichen Abfallprodukte jeder Einstellung. Das Drücken von «Record» lässt die Schulterkamera kurz wackeln, der Schwenk ist einfacher als ein Absetzen zwischen zwei Einstellungen. Zur eventuellen Verwendung bestimmt sind immer nur ein paar Sekunden jedes Takes.

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Am irrwitzigsten sind die Momente, in denen der Gerichtsreporter den Pressesprechern oder den Anwälten der beklagten Partei den entscheidenden Satz in den Mund zu legen versucht – oder ihn auf das entscheidende Minimum zu reduzieren versucht, um seine eigenen Erläuterungen zum Fall via Oton bestätigt zu bekommen.

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Das alles ist Handwerk und Alltag, der Film von Simon Quack mag in erster Linie Kompilation sein, bis auf eine Sequenz am Ende, die zeigt, wie aus dem Material schliesslich ein Beitrag gebaut wird (nicht aber der fertige Beitrag). Aber in der langen Tradition des Dokumentarfilms illustriert Procedere nicht nur dem Titel nach die handwerkliche Fertigung eines Produktes.

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Wenn ethnografische Dokfilmer minutiös die Verfertigung eines Holzschuhes oder einer Geige dokumentieren, gehen sie ähnlich vor – bloss machen sie in der Regel die Bilder selber. Was nicht heisst, dass sie origineller oder präziser ausfallen, ein Zoom oder eine Makroaufnahme auf eine Hand mit einer Feile im Einsatz ist letztlich nicht weniger banal als der dritte Schwenk auf den Bundesadler hinter dem Gerichtsvorsitzenden. Aber die Voraussetzung ist eine andere. Der Holzschuh, das Endprodukt, die Geige, sind artisanale Edelstücke. Die Gerichtsreportage in der Tagesschau ist kritisch zu hinterfragender Alltag.

Procedere ist, hat man das Prinzip erst mal erkannt, ein urkomischer Film über journalistisches Handwerk im Pseudo-Bildmedium Fernsehen. Natürlich gibt es keine sinnlosen Bilder, allenfalls sinnfreie Bildmontagen, zumal das ja auch ein gewünschter Effekt sein kann. Jedenfalls dann, wenn die Information im Text zu suchen ist und das Bild die Vermittlung nicht stören, sondern möglichst neutral befördern soll.

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