Am 7. Januar stand der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin vor Gericht. Er habe trotz Kenntnis der Pädophilie eines Priesters diesen nicht der Justiz gemeldet. Fast genau einen Monat später gelangt François Ozons fiktionalisierte Aufarbeitung des Falles um den Priester Bernard Preynat – als Geschichte eines langen Kampfes der Opfer.
Grâce à dieu ist ein Spielfilm, aber Fiktion ist wenig daran. Die Personen der Kirche tragen ihre Klarnamen, die ehemaligen Opfer zumindest die echten Vornamen. In einer Art filmischer Stafette zeichnet Ozon den Kampf dreier Männer nach, alle sind in ihrer Jugend bei Bernard Preynat in der Pfadfindergruppe gewesen, alle sind von diesem missbraucht worden.
Der Film beginnt mit einer aus dem Off vorgelesener E-Mail an die Diözese Lyon, in der ein vierzigjähriger fünffacher Familienvater, gläubiger und aktiver Katholik, in sehr sachlichen Worten ungeheuerliches berichtet: er sei, noch minderjährig, in den späten 1980er-Jahren vom Priester Bernard Preynat sexuell missbraucht worden. Man würde nun annehmen, so eine E-Mail schlüge ein wie eine Bombe.
Wenn wir in den Medien von Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche weltweit lesen und hören, schlagen sie immer hohe Wellen. Aber Ozons Film zeigt, wie schwierig es tatsächlich für Missbrauchsopfer ist, endlich gehört zu werden und wie lange es dauert, bis tatsächlich einmal ein Aufschrei erfolgt.
Alexandre jedenfalls darf erst einmal der Psychologin des Bistums von seiner Geschichte erzählen, während sich der Bischof zuerst gar nicht rührt, um dann immer Handlung zu versprechen aber nichts tut.
Alexandre kämpft nicht gegen die Kirche – er ist selber gläubiger Katholik und will die Missbrauchsgeschichte auch erst einmal gar nicht ausserhalb verhandeln. Er möchte lediglich, dass Bischof Barbarin handelt und den beschuldigten Priester seines Amtes enthebt.
Zu einer ersten starken und verstörenden Filmszene kommt es, als der Kardinal stattdessen Preynat mit Alexandre (zusammen mit der Psychologin der Kirche) zusammenbringt, wo ersterer unumwunden die Missbräuche zugibt – und anschliessend Hand in Hand mit Alexandre das Vaterunser betet.
Ozons Drama ist keine atemlose Recherche wie Spotlight, er zeigt vielmehr wie repetitiv und ermüdend der Kampf der Missbrauchsopfer ist, wie Email auf Email folgt, Gespräch auf Gespräch, ohne dass wirklich etwas passiert.
Als Alexandre Monate nach seiner ersten Mail mit seiner Familie einer Messe beiwohnt, die Preynat im Beisein von Messedienern hält, zeigt er den Fall, den er gerne innerhalb der Kirche behalten hätte, schliesslich bei der Polizei an.
Nun geht die Stafette weiter, denn die Polizei landet bei François, einem weiteren Opfer, der nach anfänglichem Zögern aktiv wird – zusammen mit seinem Freund, der ebenfalls von Missbrauch betroffen war, gründet er einen Verein und lanciert die Website La parole liberée, sucht weitere Betroffene, vor allem auch solche, bei denen die Vorwürfe an den Priester nicht juristisch verjährt sind.
Die Kampagne gerät endlich ins Rollen, und schliesslich fokussiert der Film in einem dritten Teil noch auf Emmanuel – anders als Alexandre, der Whistleblower und François, der Initiant der koordinierten Aktionen, ist er keine Schlüsselfigur im echten Fall, sondern einfach ein Vereinsmitglied von Vielen. Ozon hat hier wohl auch noch einen Kontrast in den Film bauen wollen zu Alexandre und François, die beide gutsituierte Familienväter geworden sind. Emmanuel kommt im Leben nicht so gut zurecht, leidet ausserdem unter Epilepsie.
Ozons Film ist nicht einfach eine Doku-Fiktion: er kommt seinen Figuren nah und zeigt, was dieser Missbrauch, der dreissig Jahre zuvor geschah, mit Menschen, mit Familien gemacht hat. Die Fälle sind juristisch verjährt, die betroffenen Männer bleiben ein Leben lang versehrt. Ozon, der bisher viele Filme über Frauenfiguren, starke und zerbrechliche gedreht hat, beweist hier grosses Fingerspitzengefühl auch bei der Zeichnung seiner männlichen Protagonisten.
Grâce à dieu (Gottseidank) übrigens heisst der Film nach einer Aussage Kardinal Barbarins bei einer Pressekonferenz zum Fall Preynat. Gott sei Dank, sagte er dort, seien die Fälle schon verjährt.
Letztes Jahr übrigens hat das Gericht aufgrund der Affäre in Lyon in Fällen von Kindsmissbrauch die Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre nach Volljährigkeit hochgesetzt. Die Untersuchung gegen Bernard Preynat dauert an, ein Prozessdatum ist nicht festgelegt. Das Urteil im Prozess gegen Kardinal Barbarin und andere Mitglieder der Diözese Lyon folgt am 7. März.
Insofern packt Ozons gut gemachter und solider Film nicht nur ein heisses Eisen an, sondern ist mit seiner Premiere in Berlin brandaktuell.