BERLINALE 2020: SIBERIA von Abel Ferrara (Wettbewerb)

Willem Dafoe in ‚Siberia‘ von Abel Ferrara © 2020 Vivo film, maze pictures, Piano

Irgendwie wird man bei diesem Film das Gefühl nicht los, Willem Dafoes Figur aus The Lighthouse sei zum Widergänger geworden. Er spielt Clint, einen Mann, der sich hoch im Norden mit einer kleinen Kaschemme im ewigen Schnee durchschlägt und immer mehr in seinen Erinnerungen versinkt.

Dafoe spielt aber auch gleich einen guten Teil der Figuren in der Erinnerung, sogar Clints Vater, den biederen Amerikaner, der seinen Sohn seinerzeit zum Fischen in eben diese Gegend mitgenommen hatte.

‚Siberia‘ von Abel Ferrara © 2020 Vivo film, maze pictures, Piano

Es ist wohl eine innere Landschaft, welche Abel Ferrara da zeichnet, seine eigene möglicherweise. Es sind die Erinnerungen, die Alpträume, die Ängste und das Bedauern eines Mannes im fortgeschrittenen Alter, welche in meist schön und aufwändig gefilmten Abstürzen und altraumartigen Umschwüngen dargestellt werden.

Eine Konstante sind die fünf Huskies, welche Clint vor seinen Schlitten spannt und mit denen er durch den Schnee jagt. Des weiteren gelangt er in eine Art KZ mit Erschiessungskommando, an diverse verwachsene, eine sehr schöne und eine sehr alte Frau, sowie an seine eigene Ex, die ihm nach dem Sex das Gesicht zerkratzt.

Einzelne Sequenzen dieses traumartigen Films wirken wie bei Lynch geborgt, andere sind ganz eigenständig. Die meisten entwickeln einen gewissen Sog. Man kann dem Film, so prätentiös das Konzept zuweilen anmutet, die schiere Kraft des Wirren nicht absprechen.

© 2020 Vivo film, maze pictures, Piano

Feuer machen, Fisch ausnehmen, Schnaps aus dem Keller holen: Konkrete Handlungen gibt es jede Menge. Die konkreteste aber wiederholt sich häufig: Wenn Clint seine Schlittenhunde bremst, fixiert er den Schlitten jedes Mal sorgfältig mit einem speziellen Schneeanker, den er ein ums andere Mal bedächtig tief in den Schnee tritt.

Das ist ein beruhigendes Bild, diese momentane Verankerung, in einem Film, der es häufig darauf anlegt, sein Publikum zu beunruhigen.

Überhaupt ist das Hundegespann für die solide Ebene zuständig. Allein schon der aufmerksame Blick der fünf Huskies sorgt ein ums andere Male für comic relief.

Willem Dafoe in ‚Siberia‘ von Abel Ferrara © 2020 Vivo film, maze pictures, Piano

Abel Ferarras Siberia ist stark genug, um einen nicht loszulassen im Kino, wirr genug, um bisweilen Ungeduld auszulösen, und ehrlich genug, um nicht  grundsätzlich zu ärgern.

Ob das ohne Willem Dafoes gemeisseltes Gesicht auch so wäre, werden wir nie erfahren.

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