Von den drei Schweizer «Vaterfilmen» im Programm der diesjährigen Visions du réel ist das der direkteste, derjenige, der die geweckten Erwartungen am einfachsten umsetzt und sie dann doch deutlich übertrifft.
Rudy Vit hat 43 Jahre für die gleiche Schweizer Firma gearbeitet, immer auf Geschäftsreise, oft in Asien. Nun steht die letzte dieser Reisen an, vor seiner Pensionierung.
Als der Sohn seinen Vater fragt, ob er ihn für sein Filmprojekt allenfalls mit der Kamera in den Ruhestand begleiten könnte, ahnen weder Vater Rudy noch Mutter Käthy wie hart dieser Übergang werden würde.
Einer der chinesischen Geschäftspartner warnt noch: «Life is boring in paradise». Aber der aus Kanada stammende Rudy erklärt auch voller Überzeugung, er sei kein Workaholic, er tue gerne zwischendurch mal nichts.
Und dann ist es da, das Nichts. Für immer Sonntag liegt eben nicht mehr zwischen den Trips, ausschlafen ist ja ganz schön, aber erst muss Rudy mal «sein Zen finden», wie er auf das Nachfragen des Sohnes hinter der Kamera etwas ungeduldig erklärt.
Wenn er es beim Kochen sucht, das Zen, merkt Ehefrau Käthi harmlos an, in eine Béchamel-Sauce gehörten keine Zwiebeln. Wenn er die Motorsäge im Garten nicht zum Laufen bringt, fragt sie harmlos, ob jemand das Gerät beim letzten Mal vielleicht nicht richtig geputzt habe. Oder ob es einfach daran liegen könnte, dass Rudy vergessen hat, das Kabel einzustecken.
Er revanchiert sich damit, dass er ihr erklärt, wie man die Geschirrspülmaschine richtig einräumen müsste, damit nicht alle Tassen- und Gläserböden kleine Pfützen behalten nach dem Trockengang.
Was Rudy und seine Frau da durchmachen, kennt jedes (Ehe-)paar, jeder Sohn und jede Tochter, von ihren oder seinen Eltern, oder aus dem eigenen Paaralltag.
Dabei hat der grossartig montierte und sehr sorgfältig produzierte Dokumentarfilm immer wieder seine komischen Momente, auch wenn das für die Betroffenen gar nicht lustig ist. Der Film nimmt sein Publikum gerade darum so mit, weil in den Gehässigkeiten und Reibereien des neuen Paar-Alltags so viel bekannter, überflüssiger, aber auch unvermeidbarer Schmerz zu spüren ist.
Und Steven Vits Off-Kommentar, der während des langen Schnittprozesses entstanden ist, fügt auch den eigenartigsten Momenten noch eine weitere Ebene bei, etwa wenn er dem Vater zehn Minuten vor der Kamera abtrotzt, in denen der erklären soll, warum er so hässig sei. Natürlich will er nicht, starrt trotzig auf die Uhr, gibt schliesslich zu, es liege wohl schon an ihm, aber er wisse halt auch nicht…
Während seine Frau dem Sohn geduldig und abgeklärt darlegt, es sei die Angst des Vaters vor dem Altern, vor der eigenen Endlichkeit, mit der er offenbar zurzeit nicht klar komme. Das werde schon. «Aber viel Zeit haben wir nicht mehr», seufzt sie, auf dem Sofa liegend.
Für immer Sonntag ist die filmische Therapie eines Sohnes mit seinen Eltern, der Film, den manche von uns auch mit den eigenen Eltern hätten drehen können – oder der Film, in dem wir uns gar selbst gespiegelt sehen. Dass sich das am Ende nicht nur richtig und ehrlich anfühlt, sondern auch ein wenig so, als ob wir alle damit etwas weiter gekommen wären in unserem Leben: Das ist der Triumph und das Glück dieses Films.
Im Kino ab 19. Mai 2022
Pour Stephen Vit: Connaissez vous le film :About Schmidt avec Jack Nicholson?