Manchmal beeindruckt einen ein Film, ohne dass man ihn im Detail dafür zur Verantwortung ziehen könnte. Und manchmal ist einfach zu spüren, was gemeint war, wo die Reise hätte hingehen sollen, selbst dann, wenn das nicht ganz aufgeht, wie in diesem Erstling des Brasilianers Esmir Filhó. Es ist die YouTube-Generation, welche hier im Zentrum steht, Teenager, die mit Mobiltelefon, flickr, chat, Instantfilmchen und sofort-illustrierter Teenager-Poesie und -Angst eine Welt um sich herum gebaut haben, die kaum mehr in Verbindung steht mit dem kleinen Städtchen in Brasilien, in dem sie leben.
16 Jahre alt ist der Junge, der sich im Chat Mr. Tambourine nennt, Bob-Dylan-Fan und Tagträumer. Er kifft mit seinem Freund, schaut stundenlang online Videos, auf denen ein Mädchen und ein intensiver junger Mann zu sehen sind, bei geisterhaften, suizidär wirkenden Verrichtungen im freien Feld. Der Film legt sich selten fest auf eine Realitätsebene, und wenn schliesslich gegen Schluss der Geschichte ein plattdeutsch ausgerichtetes Junifest stattfindet, dann sind Polonaise und Schunkelmusik genau so geisterhaft, wie zu vor viele der Bilder aus der Traum- und online-Realität der Hauptfigur. Nur die Brücke über den Fluss, von der offenbar immer wieder Stadtbewohner in den Tod springen, die wirkt real. Meistens. Realität wird immer wieder mit dem Mobiltelefon oder mit einer Webcam eingefangen, verschickt, verfremdet, verarbeitet, verdichtet.
Esmir Filhó hat offenbar seine Karriere auch auf YouTube begonnen, sein Kurzfilm Vibra Call, soll mit mehr als 10 Millionen Aufrufen Brasiliens meistgesehener YouTube Film sein. Sexy wirkt er auf jeden Fall, aber abgesehen von seiner Affinität zur mobilen Technik zeigt er keine Verweise auf Os famosos e os duendes da morte. Im Gegenteil, die fröhliche Sinnlichkeit des Kurzfilmchens wirkt fast schon beängstigend weit weg von der dräuenden Todessehnsucht in Filhós Langspiel-Erstling. Grundsätzlich aber gelingt es dem jungen Brasilianer, die selbstverständliche Parallel-Existenz in der ‚cloud‘, in der digitalen Wolke, mit dem altbekannten Weltschmerz- und Fremdheitsgefühl ‚klassischer‘ Teenager-Darstellungen zu fusionieren, und das ist beeindruckend. Nach Buben, Baraban ist das erst der zweite Film im aktuellen Wettbewerb von Locarno, der cinematographische Aufbruchsstimmung in sich trägt.