Hier waren Kenner am Werk, Puristen gar. You’re next hat keinen Aufhänger, braucht keinen Vorwand und liefert keine Begründung dafür, dass Adam Wingard und sein Drehbuchautor Simon Barrett den „Home Invasion“-Film auf seine Essenz reduzieren. Während Filme wie The Purge auf gesellschaftliche Relevanz ihrer inhärenten Botschaft spekulieren, ist You’re next ganz einfach Home Alone für die erwachsen gewordene Generation Kevin.
Literaturhistoriker Felix bringt seine Freundin Erin zum Familientreffen ins einsame Anwesen seiner Eltern. Im Haus herrscht schnell einmal Festen-Atmosphäre, die Brüder kabbeln sich, die Ehefrauen und Freundinnen nehmen Mass und alle sorgen sich um die fragile Mutter. Was die Gesellschaft aber nicht weiss, im Gegensatz zum Publikum: Im Nachbarshaus wurden die Bewohner in der Nacht zuvor niedergemetzelt – wie es sich gehört nachdem sie Sex hatten.
Aber noch während der Streit zweier Brüder am Abendessentisch in einen echten Brüllmatch ausufert, wird der Dokumentarfilmacher (Freund der Schwester) von einem Armbrustbolzen durchs Fenster getroffen. Und nun prasseln die Pfeile nur so ins Wohnzimmer.
Der Rest ist Abzählvers mit Varianten. Wie es sich gehört für das Genre, reichen die paar Sympathien für einzelne Figuren stets nur bis zu ihrem möglichst einfallsreichen Tod – und die am besten eingeführte Figur, Erin, wird schon früh als prototypisches „Final Girl“ erkennbar. Denn, so stellt sich heraus, sie ist in einem Survivalist-Haushalt aufgewachsen. Sie weiss sich zu wehren und kann töten. Das tut sie denn auch – wie der kleine Junge Kevin seinerzeit, mit Einfallsreichtum und allen greifbaren Utensilien.
Der Film nutzt seine Möglichkeiten maximal, treibt das Publikum immer wieder zu Szenenapplaus, wenn wieder eine Figur besonders überraschend zu Tode gekommen ist, und versteht sich auch auf Retardation, etwa wenn einer der Männer einer tödlichen Falle perfekt ausweicht, aber den in seinem Rücken steckenden Pfeil vergisst.
Im Prinzip ist You’re next nichts anderes als Tom & Jerry mit echten Schauspielern und viel falschem Blut. Die Tötungsarten müssen gesteigert werden bis zum Finale mit einer Szene, welche wohl als Hirnmixer in die Genre-Annalen eingehen wird. Dazu kommt ein mehr oder weniger überraschender Twist zu Motiv und Tätern, und gut ist.
Das Befreiende an dieser Art Film ist ganz klar der Sprung über die moralische Grenze. Was lustig ist und was nicht, bestimmt die Dramaturgie, nicht die ethisch korrekte Einstelllung des Zuschauers. Wenn Maus Jerry den Kater Tom mit einem Hammer auf den Kopf schlägt, ist das lustig. Wenn Erin einem maskierten Eindringling ein Messer in den Hals rammt – ist das lustig. Alles eine Frage des Kontexts. Insofern ist You’re next ehrlicher, direkter und viel weniger zynisch, als es die Kevin-Filme seinerzeit waren.