HELDIN von Petra Volpe

Leonie Benesch © filmcoopi

Herr Leu ist seit Tagen im Spital, seit Tagen wartet er auf eine Diagnose von den Ärzten. Pflegefachfrau Floria muss ihn ein ums andere mal vertrösten. Der alte Mann macht sich vor allem Sorgen um seinen Hund. Floria schaut sich geduldig die Hundebilder auf Leus Telefon an.

Dabei hat sie gar keine Zeit. Bei Schichtantritt wurde ihr mitgeteilt, dass eine Kollegin ausfalle und kein Ersatz da sei.

Leonie Benesch © filmcoopi

Floria rast durch die Station, vom Neueintritt, der für die Operation vorbereitet werden sollte, aber dauernd am Telefon hängt, zu Herrn Schneider, der im Sterben liegt und Schmerzen hat, was seine Tochter am Bettrand fix und fertig macht. Floria verspricht, so schnell wie möglich mit den Schmerzmitteln zu kommen. Aber kaum ist sie auf dem Gang, klingelt es schon aus einem anderen Zimmer.

Floria Lind (Leonie Benesch), Vater und Tochter Schneider © filmcoopi

Petra Volpe wirft uns mit ihrer Protagonistin in diesen Arbeitswirbel zwischen Spitalbetten und in den Gängen, mit einer Intensität, die verblüfft und mitreisst, bis zur physischen Erschöpfung.

Es ist erstaunlich, mit welch traumwandlerischer Ruhe dieser Film das aberwitzige Tempo im permanent überfordernden Pflegealltag vermittelt.

Leonie Benesch © filmcoopi

Wer je im Spital war, als Patientin oder zu Besuch, kennt diese freundliche Gehetztheit, die Verlorenheit jener, die Fragen haben, oder Angst, oder Schmerzen, wenn niemand Zeit hat, sich darum zu kümmern. Und das Glück, wenn sich dann doch jemand die Zeit nimmt, für ein paar Minuten bloss.

© filmcoopi

Die grossartige Leonie Benesch (eben noch zu sehen als souveräne deutsche Dolmetscherin in Tim Fehlbaums September 5) hat zur Vorbereitung auf die Rolle ein Praktikum im Kantonsspital Liestal eingeschoben. Ihre Floria hantiert nun mit einer Bestimmtheit und Routine, dass die Szenen mitunter dokumentarisch wirken, ob sie nun Medikamente vorbereitet, einen Patienten umlagert oder einer besonders ängstlichen Frau mühelos und erfolgreich eine Venenverweilkanüle in den Arm sticht.

Floria macht in einer einzigen Schicht, gerafft auf neunzig Kinominuten, grosse und kleine Dramen durch, mit Patienten, Kollegen, Ärztinnen und Angehörigen, Dramen, welche die meisten von uns für Wochen emotional erledigen würden.

Sie rennt, tröstet, vertröstet; sie trifft Entscheidungen und nimmt sich dann plötzlich die Zeit, mit einer verwirrten, panischen alten Frau zur Beruhigung ein Lied zu singen.

Leonie Benesch, Margherita Schoch © filmcoopi

Petra Volpes Film ist meisterlich getaktet, zum thrillerartigen Tempo, bei dem die latente Gefahr von Pflegefehlern uns und die Heldin subkutan umtreibt, gesellt sich die routinierte Geschmeidigkeit der Abläufe.

Nicht nur die Pflegefachfrau hat ihre Bewegungen und Entscheidungen (meistens) im Griff.

Auch Petra Volpes Kamerafrau, die unerschütterliche Judith Kaufmann, schafft das Wunder, dicht an der Protagonistin dran zu bleiben und gleichzeitig so viel Distanz zu wahren, dass sich zur dokumentarischen Genauigkeit die Magie der fiktionalen Überzeugungskraft gesellt. Etwa wenn die Kamera der Protagonistin in ein Spitalzimmer folgt und diese die Tür in einer einzigen Bewegung schliessen kann, den Blick schon beim Kollegen und dem Patienten, ohne dass wir im Publikum auch nur eine Sekunde darauf verwenden, uns zu fragen, wie da Schauspielerin und Kamerafrau gleichzeitig durch diese eine Tür haben gleiten können…

Judith Kaufmann, Leonie Benesch, Petra Volpe © Zodiac Pictures/Salvatore Vinci

Heldin vermittelt überzeugend den Anschlags-Alltag in der Pflege, deren sprichwörtlicher Notstand sich in den nächsten Jahren absehbar katastrophal ausweiten wird.

Zugleich aber ist das bei aller dokumentarischen Einsicht ein Spielfilm, ein Film, der mit seinen Elementen spielt. Petra Volpe hat mit ihren Fernsehfilmen und Drehbüchern vor, nach und seit ihrem harten Kinoregiedebut mit Traumland auch immer wieder ihr Talent zur Publikumsnähe bewiesen – und eine verspielte Art, dem Rechnung zu tragen.

So ist die Besetzung der Rollen in Heldin dermassen sorgfältig divers über Alters-, Geschlechter-, Sprach- und Herkunftsgrenzen verteilt, dass man sich schnell ein wenig über die klischeemässig anmassende Arschlochigkeit des vermögenden Privatpatienten im Einzelzimmer zu wundern beginnt. Bis genau das vom Drehbuch und der Inszenierung ausgesprochen befriedigend und befreiend aufgefangen und aufgelöst wird.

Heldin ist ein befriedigendes, aufregendes und aufrüttelndes Kinoerlebnis mit Nachhall. Ein Film, der noch weit in die Zukunft hinein seine Wirkung zeigen wird.

Premiere war heute im Rahmen der 75. Berlinale
Kinostart: 27. Februar 2025, mit diversen Vorpremieren in den nächsten Tagen


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